Sein letzter Burgunder
die Terrassen schmaler. In der Ebene verliefen bis zu fünfzehn Rebzeilen oder mehr nebeneinander, weiter oben waren es dann nur noch fünf, dann vier und zuletzt zwei. Auf dem Grat zwischen Abhang und Feldweg blieb schließlich nur noch Platz für eine Zeile. Bei den Hanglagen, den Hügeln mit der geringsten Neigung, liefen die Rebzeilen entweder auf einer Höhenlinie parallel zum Hang oder von unten nach oben.
Der gesamte Kaiserstuhl wurde als Großlage »Vulkanfelsen« bezeichnet. Dann gab es die Einzellagen, wo sich Unterschiede im Boden, der Hangneigung und der Ausrichtung zur Sonne zeigten. Vier Einzellagen gehörten zu Oberrotweil. Da war der Käsleberg mit dem größten Flächenanteil, gefolgt vom Eichberg, dem Henkenberg und der kleinsten Lage, dem Kirchberg, mit nur sechs Hektar. Der Vulkanverwitterungsbodentrat an vielen Stellen offen zutage, häufig lag eine dicke Lössschicht darauf. Auch Kalk war vorhanden, als sedimentierter Muschelkalk und als Gestein, das vulkanische Aktivität an die Oberfläche gebracht hatte.
Die Weine vom Löss aus Hang- und Flachlagen zeigten sich sortentypisch und fruchtbetont, auf ihrem Niveau hielten sie sich fünf bis sechs Jahre, Lössterrassen brachten anspruchsvollere Weine mit mehr Schmelz hervor, und sie blieben zehn Jahre auf hohem Niveau. Vulkanverwitterungsboden gab den Weinen einen mineralischen Charakter, wobei die vom Fels härter, staubig und langlebig und sehr interessant im Geschmack waren, die von der Vulkanasche eher weich und schmelzig ausfielen.
Henry glaubte, dass die Erklärungen den Fotografen langweilen würden, aber Gatow hörte hin, wohl nicht nur, weil er davon etwas verstand, sondern weil die Bodenbeschaffen heit in Struktur und Farbe sichtbar war. Löss zeigte sich glatt, hell, in Umbra und sandfarben. Der Vulkanboden war dunkler, ein blaues Grau, wie gebrannte Asche, die Wände mit weißen Kalkeinschlüssen, und Gesteinsbrocken waren anthrazitfarben. Die physische Beschaffenheit wirkte sich so extrem auf die Bearbeitung aus, wie Henry es von keinem spanischen Weinbaugebiet kannte. Weinberge mit weichem Lössboden konnten gepflügt werden, aber auf den Vulkanböden rissen die harten Brocken Scharten in die Pflüge. Auf Düngung verzichtete Salwey gänzlich, wegen der Trockenheit konnten die Weinstöcke in besonders heißen Jahren bewässert werden. Hier waren auf den felsigen Stellen im Boden schon mal siebzig Grad gemessen worden.
Die Hitze dieses glühenden Nachmittags machten weder Henry noch dem Fotografen etwas aus, jedoch machte ihm der Arm offensichtlich zu schaffen. Immer wieder fielen Henry die ungewöhnlichen Bewegungen auf. Noch scheute er sich, Gatow auf die Behinderung anzusprechen.
Der Tag klang aus, in den Weinbergen herrschte Stille,und ein rötlicher Hauch legte sich auf das Rheintal und die Vogesen, die im üblichen Dunst verschwammen. Der Wind aus Süden roch nach warmer Erde. Still, ein jeder in seinen Gedanken, fuhren sie zurück zur Rotweinprobe.
Als Henry die Gärtanks aus Edelstahl sah, überschwemmte ihn die Erinnerung an das Telefonat, und die Angst um Isabella war wieder da. Den Tag über hatte er sie verdrängt. Er war müde, die Konzentration ließ nach, und das schlechte Gewissen, dass er sie alleinließ, kam wieder an die Oberfläche. Er wusste, dass auch er gemeint war, denn er hatte Feinde im Betrieb. Die Vernichtung von vierzigtausend Litern ihres besten Weins ging darüber hinaus, Sand ins Getriebe zu werfen. Diese Art Sabotage war schon keine Kriegserklärung mehr, das war Krieg.
Der junge Winzer kam mit Flaschen und Gläsern zurück und riss Henry aus dem Grübeln. Es war spät geworden, die Mitarbeiter hatten Feierabend. Man setzte sich an den Tisch im Probierraum unter das Foto vom Vater. Mit anderthalb Hektar hatte der Großvater begonnen, bei Übernahmen durch den Vater waren es zweieinhalb Hektar gewesen, jetzt trug der junge Winzer die Verantwortung für dreiundzwanzig – eine Bürde; hinzu kam der Ankauf von Trauben ausgesuchter Winzer für die Linie von Gutsweinen. Aber sie waren hier, um ausschließlich Salweys Rotweine kennenzulernen, die einfache Linie, die mit RS bezeichneten Reserve-Weine und die Großen Gewächse.
Alles, was Henry und Gatow im Weinberg erklärt bekommen hatten, fand sich in dem einen oder anderen Wein wieder. Je länger er gelagert war, desto mehr zeigte er sein Gesicht, desto ausgeprägter waren die Aromen, der Charakter, die Mineralität oder das Aschige vom Vulkan.
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