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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Barcelona, in La Rioja oder unterwegs im Landesinneren. Ich gebe einen Spanien-Newsletter heraus, VINOS IBERICOS.«
    »Sicher interessant, aber bestimmt anstrengend. Barcelona ist eine tolle Stadt.«
    »Irgendwann schaut man hinter die Kulissen. Der Smog ist mörderisch.«
    Gatow kam auf Alan Amber zurück. »Viele vergessen, dass er in erster Linie für Engländer schreibt, und was die für einen Geschmack haben, sieht man an ihrer Kochkunst.«
    »Jetzt sind Sie böse. Oder spricht da der von Italiens Küche Verwöhnte?«
    »Waren Sie mal in England? Ich rede nicht von den Londoner Nobelrestaurants, die sind überall gleich. Ich rede von den Landgasthäusern, von einfachen Restaurants, die Briten lassen sich vieles vorsetzen.«
    »Meinen Sie, es liegt am Wetter?«
    »Die kaufen Paprika und Tomaten doch auch bei euch in Andalusien, mit Nährlösung in der Plastiktüte aufgewachsen   …«
    Die beiden Männer prosteten sich zu, die Wellenlänge stimmte. Die Mitarbeiterin des Weingutes bot ihnen an, sich die Wartezeit mit einigen Grauburgundern zu vertreiben. Henry war einverstanden, aber Frank Gatow wurde unruhig, die Stunde des idealen Lichts rückte näher, wie Henry vermutete, und Gatow hatte kaum etwas zu sehen bekommen, weder die Weinberge noch die Keller, aber er willigte ein.
    Die Grauburgunder stammten vom Henkenberg und vom Glottertaler Eichberg. Gneis, Löss und Vulkanfels, verwittert, mit Einschlüssen von Kalk bildeten die Grundlage. Die Weinstöcke standen auf Terrassen und wuchsen sowohl am Hang wie an Steillagen. Die Weine von beiden Einzellagenwaren mit zwei Jahren eigentlich zu jung zum Trinken, nicht aber zum Probieren, wenn man ihre Entwicklung vorwegnahm. Nur   – wie sollte man sich die vorstellen, wenn einem die Erfahrung und das Material zum Vergleich fehlte?
    Gatow äußerte sich ähnlich, aber er war genauso von dem begeistert, was er probierte. Es fiel natürlich sofort auf, dass der Grauburgunder eine dichtere Farbe hatte als sein weißer Verwandter. Da war der Geschmack von Melone und grünem Apfel, im Eichberg meinte Henry ein Aroma aus der Urzeit wahrzunehmen, die Asche der Vulkane? Vom selben Berg stammte der »M«, der zu einem kleinen Anteil mit edelfaulen Trauben vergoren war und grandios wirkte   – oder auch die Spätlese mit einer bewusst integrierten Überreife.
    »Mir scheint, der Winzer versteht seinen Boden, seine Lagen, seine Reben, und er versteht es, daraus Wein zu machen.« Henry seufzte. »Ich fürchte, mir wird der Geschmack für die nächsten Tage verdorben. Derartige Weine werden sie uns in Baden-Baden kaum vorsetzen.«
    »Das können Sie gemeinsam mit meiner Frau bejammern«, meinte Gatow. »Meine Frau ist selten zufrieden, mit ihren eigenen Weinen ist sie besonders kritisch. Hier wäre sie gern dabei.«
    »Wieso haben Sie sie nicht mitgenommen?«
    »Was Langweiligeres, als Fotografen bei der Arbeit zu begleiten, gibt es nicht. Wir sehen, beobachten, entwickeln ein Gefühl zum Bild   – aber wir reden nicht. Sie werden es erleben, später, falls der Winzer noch kommt.« Der Fotograf schaute auf die Uhr, als das ältere Modell eines Geländewagens auf den Hof fuhr.
    Sowohl Henry wie auch Frank Gatow hatten den seriösen freundlichen Herrn erwartet, dessen Foto in der Weinstube hing. Aber ein großer junger Mann kam auf sie zu, lockeres, dunkelblondes Haar, ein offenes Gesicht, schlaksig im Gangund freundlich, jemand, der wenig von einem Weinbauern an sich hatte, mehr von einem Künstler, vielleicht Bassist in einer Bluesband, vielleicht Poet?
    Aber es war der Winzer. Der tödliche Autounfall des Vaters hatte ihn von heute auf morgen in diese Position geschleudert. Die Bürde, am berühmten Vater gemessen zu werden, musste gewaltig sein. Was dem jungen Mann die Arbeit sicher erleichterte, war der Umstand, dass er seit langem mit dem Vater zusammengearbeitet hatte, dass ihm der Weinbau Freude machte und er sich in Geisenheim am Rhein beim Studium des Weinbaus das theoretische Rüstzeug angeeignet hatte.
    Als Erstes wurde der Wunsch des Fotografen erfüllt. Sie fuhren hinauf in die Weinberge, der junge Salwey erklärte ihnen die Lagen. Von oben und von der richtigen Position aus waren die Folgen der großräumigen Flurbereinigung aus den Sechzigerjahren am deutlichsten sichtbar. Wie Linien einer topografischen Karte zogen sich die Grenzen der Terrassen an den Hängen hinauf, gestaffelte Landzungen übereinander, unten eine riesige breite Fläche, oben drüber wurden

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