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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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ungerecht aus. Möglich, dass es dumm von ihm war, besonders als er bemerkte, wie angeregt Antonia Vanzetti und die Winzerin miteinander sprachen, und Antonia Vanzetti war alles andere als unsympathisch.
    Frank Gatow ist zu beneiden, dachte er, und vermisste Isabella jetzt besonders. Er erinnerte sich an ihr Gesicht, ihre dunklen Augen, ihre raue, feste Stimme und ihren weichen Mund. Sie hätten jetzt einen Spaziergang gemacht   …
    Hatte Frank Gatow ausgeplaudert, dass er Journalist war?Sofort entstand am Tisch eine Polarisierung. Er kannte diese Reaktion. Manch einer verschloss sich, andere breiteten ihr Leben vor ihm aus und erzählten ihm alles, was sie jemals von Wein gehört hatten. Das Winzerehepaar rückte interessiert näher, andere wiederum gingen auf Distanz. Als dann noch verlautete, dass er in Spanien lebte, stellte jemand aus der Runde die Behauptung auf, dass die Spanier noch zwanzig Jahre bräuchten, um auf italienisches Niveau zu kommen. Wollten sie sich streiten? Generell konnte Henry nur zustimmen. Die Vielfalt war größer, die Erfahrung reicher, die Eleganz ausgeprägter, die Klimazonen deutlicher, und in Italien stand ein breiteres Spektrum autochthoner Rebsorten zur Verfügung.
    Nun gut, vom Schnuppern am Wein wurde man nicht betrunken, darauf konnte er sich einlassen. Oder sollte er sich vor dem Essen klammheimlich verdrücken? Aber die drei Gläser vor ihm nahmen ihm die Entscheidung ab. Wie gern hätte er jetzt einfach nur ein Gläschen getrunken und in die Landschaft geschaut, statt wieder etwas beurteilen zu müssen. Seine Meinung durfte er nur sagen, wenn der Wein gut war. Über schlechte Tropfen schwieg man besser.
    Von undurchdringlichem Rot war der Wein aus der autochthonen Rebsorte Casavecchia, bei einer so hohen Konzentration von Aromen und Extrakt verblasste dagegen der Pallagrello Bianco mit seinem Duft exotischer Früchte. Nur gut, dass sie beim anstehenden Weinwettbewerb immer einen Flight von ähnlichen Weinen vorgesetzt bekamen, die sich selten gegenseitig behinderten oder sogar zerstörten. Ein guter Prüfer musste damit umgehen können.
    Ein Aglianico durfte unter den Weinen nicht fehlen, nur war dieser zu jung und dadurch zu hart, er brauchte mindestens fünf Jahre, um milder zu werden, und würde dann immer noch hart sein. Dafür würden sie diesem Wein ein Leben von mindestens zwanzig Jahren geben. So lange ließ sich kaum ein anderer italienischer Wein lagern. Frank Gatowübersetzte seinen Kommentar, der den Machern nicht gefiel, ihr Lächeln blieb gezwungen. Henry hatte beschrieben, aber nicht gelobt. Oft empfand er die Winzer als quengelnde Kinder, die ständig Bestätigung suchten, und er grinste bei der Erinnerung an F.   K.   Waechters Zeichnung mit der Gans, die auf einem Hügel ihren Kopf in den Stiefel steckt und jammert, dass wieder kein Schwein guckt   – dabei steht das Schwein bewundernd dabei und findet den Kopfstand toll. Waechter sollte statt der Gans einen Winzer oder eine Flasche in den Stiefel stecken.
    Vor weiterer Aufmerksamkeit der Winzer rettete ihn die Frau, die ihn an der Bar herumkommandiert hatte. Die Besitzerin des Hotels zog einen widerstrebenden Koch zum Tisch, einen großen, blonden Bären, der mit Beifall und »Bravo«-Rufen empfangen wurde. Dann ließ ihn die Hotelbesitzerin die Gäste mit Handschlag begrüßen. Wie ein vorgeführtes Kind (Gib der Tante ein Küsschen!) quälte sich der Koch von Gast zu Gast, wurde gelobt und betatscht. Eigentlich waren die Köche die Selbstdarsteller, hier war es die Frau.
    »Es ist ihr Mann, einen Stern hat er ihr erkocht!«, raunte ihm Gatow von der anderen Seite des Tisches zu. »Mal sehen, was sie auftischen.«
    Es war eine Groteske, die Aufführung italienischer Lebensart, auf dieser Bühne unter der Rotbuche. Henry begriff nicht, woher dieses Gefühl kam, denn so fremd hatte er Italiener nie erlebt. Gatow zeigte sich ähnlich verständnislos, seine Frau hingegen genoss den Trubel.
    Als der Koch der Winzerin die Hand gab, wich er ihrem Blick aus und bekam einen traurigen Zug um die Augen. Da erst bemerkte Henry die Schuppenflechte am Hals des Mannes, sie reichte bis hinter die Ohren. War seine Nervosität dem Jucken geschuldet? Der erkochte Stern jedenfalls machte ihn nicht glücklich. Dann wechselte er in fließen dem Italienisch einige Worte mit dem Winzer.
    Er spricht nicht mit dem Herzen, dachte Henry, als er einen Teller mit Tintenfisch in Mangold vorgesetzt bekam, aber er kocht mit dem

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