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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Daran waren sogar die Götter gescheitert.
    Wie er es anstellen musste, Koch zu packen, fiel Henry auch sofort ein. Er würde sich als Unternehmensberaterausgeben, als Headhunter, der auf den grandiosen Weinjournalisten Koch aufmerksam geworden sei. Er holte sich sein Laptop ins Bett, legte es auf den Schoß und begann zu tippen:
    »Sehr geehrter Herr Koch,
    mit großem Interesse verfolgt einer unserer langjährigen Klienten aus dem Medienbereich seit geraumer Zeit Ihre publizistische Arbeit. Beeindruckt von der Form und dem Inhalt Ihrer namentlich gezeichneten Artikel sowie Ihrer fachlichen Kompetenzarbeit wurden wir gebeten, den Kontakt zu Ihnen herzustellen   … Die Beschreibung des zukünftigen Tätigkeitsbereichs finden Sie im Anhang. Die jährliche Vergütung reicht an den sechsstelligen Bereich. Bitte behandeln Sie diese Angelegenheit mit der gebotenen Diskretion. In Erwartung Ihrer baldigen Antwort   … Mit freundlichen Grüßen   …«
    Nicht nur Koch würde diesen Anhang öffnen, fast jeder würde es allein aus Neugier tun. Ein derart personalisiertes Schreiben blieb weder im Spam-Filter stecken, noch würde es von Virenscannern aufgehalten werden. Wikileaks hatte es vorgemacht. Und wenn Koch den Anhang erst einmal geöffnet hatte, war man im System und konnte darin herumfahren wie sein Webmaster in Barcelona mit dem Team-Viewer auf seinem PC.   Grandios, das war der Weg. Allein beim Gedanken an sein Vorhaben empfand Henry etwas wie bösartige Freude. Heckler hatte sicher nicht die Crème der I T-Wächter um sich versammelt, sondern die billigen und willfährigen. Gute Leute ließen sich nicht so entwürdigend behandeln, und in anderen Branchen wurde mehr gezahlt als im Verlagswesen. Das alles kommt mir jetzt zugute, sagte sich Henry und spürte, wie sich sein Gesicht zu einem Grinsen verzog.

11
Das Verhör
    Er war einer der ersten im Verkostungssaal, und an Tisch dreizehn hatte bisher nur Josephine Rider aus London Platz genommen. Sie hatte das Haar hochgesteckt, ein Lidschatten mit einem schrecklichen Blau passte weder zum Lippenstift noch zum Blau des leicht ausgebeulten Strickkleids. Sie wirkte an diesem Morgen wie die Karikatur einer Englischlehrerin. Aber sie war eine Koryphäe auf dem Gebiet der Überseeweine, und sie schrieb erstklassige Artikel.
    »Jetzt übe ich diesen Beruf seit dreißig Jahren aus und bin vor jeder Probe wieder aufgeregt. Ich frage mich, ob ich wirklich alles richtig mache, ob ich gerecht bin, ob ich einem Winzer oder einer Kellerei Unrecht tue. Geht Ihnen das auch so?«
    Vor Henry lag eine Mappe mit den Verkostungsblättern auf dem Tisch. Er setzte sich, schlug sie auf und warf einen Blick darauf. Links stand das Logo der OIV, rechts das der BBWC. »Nur hinterher, wenn ein Flight vorbei ist, frage ich mich, ob ich es richtig gemacht habe, und schließlich sage ich mir, dass ich es nicht besser kann. Ein großer Wein am Anfang macht es schwer, er setzt den Standard. Alle anderen fallen im Vergleich zu ihm ab, und dann hat man plötzlich eine Granate im Glas, bei der man sich fragt, ob man den ersten Wein nicht zu hoch bewertet hat. Am schwierigsten sind für mich immer der erste und der letzte Flight, im Durchschnitt sind es ja vier am Tag. Morgens muss man sich erst warmlaufen, undam Nachmittag bin ich müde, die Mundschleimhaut ist strapaziert, die Sinne sind überreizt, und die Konzentration schwindet. An anderen Tischen stehen die Juroren bereits auf, und man glaubt, dass man zu langsam war.«
    »Mir geht es ähnlich. Soweit ich weiß«, sagte Josephine Rider, »gehen Sie einer ähnlichen Tätigkeit nach wie Amber. Ich kenne Ihren Newsletter, irgendwer hat hier gestern einige Exemplare ausgelegt. Ich hoffe, das waren nicht Sie selbst?« Ihrem Ausdruck nach gefiel es ihr nicht so gut.
    »Das würde mir nicht einfallen«, sagte er entschieden. Dass seine Publikationen hier verteilt worden waren, kam Henry gar nicht entgegen. Er beanspruchte keine Sonderbehandlung, er war nur einer von hundertvierzig, und mehr wollte er nicht sein. Da steckten sicher Heckler und Koch dahinter. Welches Ziel verfolgten sie? Heckler betraute ihn mit einer heiklen Aufgabe (sofern er es ernst meinte) und zerstörte gleichzeitig sein Ansehen? Oder wies man ihm die nötige Kompetenz zu, wenn er bezüglich Ambers die Kollegen befragte?
    Glücklicherweise bohrte die Britin nicht weiter. »Wie viele Weine probieren Sie sonst am Tag?«
    »Ich arbeite gänzlich anders«, erklärte Henry. »Ich sehe

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