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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Speisekarte, wickelte sich dann in ihre Stola, schlang sie eng um sich, und Henry empfand es als Geste, die ihrem Mann zeigen sollte, dass sie fror und den Wunsch verspürte, bald zum Hotel zurückzukehren. Aber einer Kleinigkeit für den späten Hunger war sie nicht abgeneigt, »wirklich nur eine Kleinigkeit«, und sie bestellte Wildmaultaschen mit Zwiebelschmelze und Kartoffelsalat, weniger, weil sie eine Vorstellung davon hatte, mehr, weil ihr die Worte gefielen.
    »Amber hat sich ausführlich mit italienischen Weingütern befasst.« Gatow ließ sich nicht vom Thema abbringen. »Er soll sogar Sachverstand bewiesen haben. Wieso er sich in Italien auskennt, weiß ich nicht. Dazu kann meine Frau sicher mehr sagen, wir haben darüber bisher nie gesprochen.«
    »Müsst ihr mir den Opernabend verderben?« Antonia Vanzetti verdrehte gekonnt ihre schönen dunklen Augen.»Also gut   – man kann ihm den Sachverstand keinesfalls absprechen, auch wenn einige Kollegen ihn den größten Manipulator aller Weinzeiten schimpfen. Er hat sich zum Piemont geäußert, er hat sich mit den Supertuscans beschäftigt und hat sich über Montalcino und Montepulciano ausgelassen. Besonders die Weine des südlichen Italiens sollen ihm vertraut gewesen sein, wie mir unsere Winzer aus dem Süden vorhin versicherten.« Sie wies mit der Hand in Richtung Hotel, das nur fünf Minuten vom Café entfernt lag. »Reicht euch das?«
    »Das heißt keinesfalls, dass seine Motive lauter waren«, warf Henry ein.
    Antonia Vanzetti stimmte unwillig zu. »Er wusste um seine Macht und seinen Einfluss, und wer sich dessen bewusst ist, der nutzt sie. Ich glaube, dass dort ein Motiv für den Mord liegen könnte. Es wird Knochenarbeit für die Polizei werden, herauszufinden, welchem Weingut er geschadet hat, wer unter ihm litt oder noch leidet.«
    »Ich schließe mich dieser Theorie an«, sagte Frank, dessen Augen über das späte Publikum glitten, als suche er nach Fotoobjekten. Im »Le Bistro« war nach Schluss der Oper jeder Platz besetzt, viele Gäste, der Kleidung nach ebenfalls Opernbesucher, standen mit Gläsern in den Händen auf der Straße. Gatows Augen waren sowieso ständig in Bewegung, sie waren wie eine mobile Kamera. Ob er sich allerdings die Bilder dann auch merken konnte, entzog sich Henrys Erfahrung. Er hatte den Eindruck, dass Frank sich in Anwesenheit seiner Frau mit seiner Meinung zurückhielt. Sie würden morgen weiter darüber reden, die Fotos würden ihnen mehr zeigen, besonders die Szene, als Amber der Burgunder gebracht wurde.
     
    Dorothea! Sie würde ihm helfen. Sie konnte es, und er hatte Vertrauen zu ihr. Henry saß kerzengerade im Bett. Der Morgen graute, der Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass esgerade mal halb fünf war, aber er fühlte sich ausgeschlafen, nur die Augen waren entsetzlich müde und brannten. Denken konnte er ja schließlich auch bei geschlossenen Augen, doch er musste sich Notizen machen, um ja nichts zu vergessen.
    Er erinnerte sich, dass Dorothea mal etwas von einem Computerspezialisten erzählt hatte, einem alten Freund von ihr, einem Hacker. Er wusste jetzt, wie er an Heckler herankam. Ihn begreifen bedeutete, in sein Computersystem einzudringen, in die Gehirne der Gegenwart. In ihnen wurden die Gedanken aufbewahrt, dort fand man die Denkmuster, die Strukturen des Unternehmens und Personalakten, die Beziehungen zu den Anzeigenkunden und die Finanzen, die Liste aller Juroren, derer, die hier versammelt waren oder abgesagt hatten. Alles war da drin, auch die Korrespondenz mit Amber. Bestimmt würde vieles verschlüsselt sein, geschützt von Passwörtern und Firewalls.
    Man brauchte ein trojanisches Pferd! Er konnte es sich ausdenken, nur die Technik beherrschte er nicht, und es würde sicher nicht so einfach sein, wie im Kino dargestellt. Wenn Hacker in Großunternehmen eindrangen, in Banken- und in militärische Systeme, würde es für die Spezialisten ein Leichtes sein, in einen Verlag einzubrechen. Vielleicht war es viel einfacher. Koch würde das Pferd des Sehers Kalchas oder des Odysseus in die virtuelle Stadt lassen, man musste ihn nur bei seiner Eitelkeit packen. An dieser Stelle waren die meisten zu packen, und wenn er erst einmal in der Stadt war   … er war gespannt, was er alles zu sehen bekäme. Vielleicht ließ sich Heckler die Verkostungen in seiner Firma, die anschließend publiziert wurden, von den Weinlieferanten bezahlen? Was denkbar war, das war möglich   – außer der Rettung der Welt.

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