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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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mir ein Weingut an, dann sprechen wir über die Weine, und ich bitte, dass man mir alles, was es zu probieren gibt, als Blindprobe hinstellt. Wenn ich offen probiere, lasse ich mir den schlichtesten Wein der Bodega zuerst geben. Wenn man sich bei dem keine Mühe gibt, ist der Rest meistens hingefummelt.«
    Josephine Rider lachte, sie sah nett dabei aus, und Henry fragte sich, wie man so sympathisch sein und sich dabei so schrecklich anziehen konnte.
    »Was bitte ist hingefummelt?«
    »Die Weine entstehen nicht, sie werden auf einen bestimmten Geschmack getrimmt, gerade Sie werden wissen, was ich meine. Es ist manchmal schwierig, die Blender zuerkennen, in einer Welt, in der das eigene Auftreten mit Hilfe eines Coachs vor der Videokamera einstudiert wird. Aber zurück zu meiner Methodik. Ich mache mir meine Notizen, und wenn die Flaschen aufgedeckt werden, vergleiche ich die Ergebnisse, also verkoste ich einmal blind und einmal offen. Das fordert mich mehr, es ist weitaus interessanter und eventuell auch gerechter. Die Winzer, Kellermeister oder Önologen, die mir dann gegenübersitzen, sind meistens sehr verblüfft über meine Vorgehensweise.«
    »Das ist auch ungewöhnlich«, bestätigte die Journalistin. »Bei mir kommt es immer darauf an, ob ich vor einer Probe gut geschlafen habe.«
    »Und   – haben Sie das?«
    »Nein, die Nacht war grässlich   – unter einem Dach mit einem Mörder. Glauben Sie nicht, dass er einer von uns ist?«
    Henry rieb sich die Augen, sie brannten, die letzten Nächte waren kurz gewesen. »Das dachte ich zuerst auch. Aber der Mörder ist keiner von uns, und daran wird man ihn erkennen. Einer oder eine von uns tötet nicht. Wir arbeiten mit Wein, weil es eine schöne Arbeit ist. Da passt kein Mord. Und doch haben Sie recht, er ist nicht einer von uns, sondern unter uns. Er hat die Situation gesucht, um Amber zu treffen, in einer Situation, in der wir ihm die Tarnung bieten. Wir sind das Wasser für den Fisch.«
    »Sehen Sie das nur vom Standpunkt dessen, der einen Mord aufklärt   – oder auch von dem des Mitmenschen? Ich kannte ihn persönlich, und ich bin ihm nie ausgewichen, wir haben uns oft getroffen, das bringt   …«, sie zögerte, »…   das brachte unser Beruf mit sich. Ich hatte Kritik an ihm, zum Beispiel, wie er sich feiern ließ. Das war unwürdig. Dabei machte er seine Arbeit teils sehr gut, teils habe ich seine Bewertungen überhaupt nicht nachvollziehen können. Aber wer sagt, dass ein Könner nicht irrt? Wie soll man bei hundertfünfzig Proben alles richtig bewerten?« Die »Hundertfünfzig« hatte sie so betont, als würde sie die Zahlanzweifeln, und aus ihrem Gesicht sprachen Skepsis und Ironie.
    »Ich kann nicht jeden Wein bewerten, den man mir vorsetzt«, entgegnete Henry. »Es gibt einige darunter, die rangieren unter Körperverletzung! Und wenn man sich zu viel auflädt, bricht man zusammen und verliert den Überblick. Reduktion ist dann die einzige Lösung, die Geschwindigkeit verringern, dann fliegt man auch nicht aus der Kurve. Weshalb hat ihn jemand Ihrer Meinung nach umgebracht?«
    Henry drückte sich vor der Beantwortung ihrer Frage. Er mochte nicht sagen, dass ihn der Tod eines Kollegen zwar nachdenklich und betroffen machte   – aber Trauer? Nein, dazu stand ihm Amber zu fern.
    »Weshalb er ermordet wurde?« Josephine Rider nahm verlegen ihre Brille ab und begann sie zu putzen. »Keine Ahnung. Wie sehr muss einem jemand im Wege sein, dass man ihn ermordet?«
    »Vielleicht liegt die Lösung der Frage gar nicht beim Wein!?« Der Gedanke war Henry eben erst gekommen.
    »Ist das Ihre Annahme oder eine Frage?«
    »Die Polizei wird sich jetzt ein Bild machen, wenn sie schlau ist, was ich hoffe. Aber es ist immer die Frage, welches Ziel sie verfolgt. Ich bin auf das erste Verhör gespannt, irgendwann sind wir alle dran.« Es war ein unangenehmer Gedanke.
    Beide blickten gleichzeitig auf, die anderen vier Jurymitglieder kamen zum Tisch, van Buyten führte sie an. Oder er bildete es sich ein.
    »Scotland Yard kommt später«, sagte Henry.
    »Vielleicht auch gar nicht«, sagte Mrs.   Rider lakonisch.
    »…   ich bin sehr froh, dass wir bei so einer Sache unter uns sind.« Es waren nur die letzten Worte van Buytens, die Henry mitbekam. Sie waren an den Önologen Paolo Castellani gerichtet. Wer war in dieses »unter uns« einbezogen, wem fühlte van Buyten sich zugehörig?
    »Herr van Buyten!« Henry musste das Gespräch in Gang setzen, er hatte einen

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