Sein letzter Burgunder
ging. Er vermutete einen Winzer als Täter, den Amber mit schlechten Bewertungen oder durch Totschweigen in den Ruin getrieben hatte.
Aber es gab kaum Winzer unter den Juroren. Auf diesen Einwand entgegnete Dillon, dass es genauso gut ein Importeur gewesen sein konnte, der große Mengen eben eines schlecht bewerteten Weines eingekauft hatte und nun auf unverkäuflichen Partien saß. Und der Mörder musste das Risiko, entdeckt zu werden, für gering halten.
»Er glaubt bestimmt, dass er so schlau ist, alles so gut eingefädelt hat – oder ausgeheckt – wie sagt man?, dass er nicht entdeckt wird. Und wenn es so war, wie Sie meinen, dass der Strom im richtigen Moment abgeschaltet wurde, muss er sich im Hotel ausgekannt haben, er hat dafür Helfer gebraucht. Ich halte auch das Hotelpersonal für verdächtig.«
»Ich bin der Mörder«, sagte plötzlich eine leise, tiefe Stimme hinter Henry, und er fuhr herum, sein Stuhl kippte, er stieß gegen den Tisch, Dillons Glas zersplitterte laut klirrend am Boden. Hinter ihm stand Frank und lachte. »Chaostheorie, mein Guter. Alles beginnt mit dem Flügelschlag eines Schmetterlings. Ein falsches Wort löst die Kettenreaktion aus: Aufspringen, kippen, zerschellen, jetzt kommen die Beschimpfungen, denen folgen Entschuldigungen, dann entstehen Kosten. Ich übernehme selbstverständlich die Rechnung für die Reinigung Ihrer Hose, mein Herr«, sagte der Fotograf zum Winzer, der aufgesprungen war, sich den Wein vom Hosenbein wischte, bemüht, seine Verärgerung nicht zu zeigen.
»Den neuen Wein zahle ich selbstverständlich auch. Was war es für einer?« Gatow sah sich um. Der Ober kam miteiner Schüssel warmen Wassers und einem weißen Tuch, mit dem der Winzer sich den Fleck aus der Hose rieb und sich die Hände abwischte. Alle Gäste starrten her, von weitem beobachtete auch Antonia Vanzetti das Geschehen, ihre italienischen Kollegen verabschiedeten sich gerade von ihr, und sie kam herüber.
»Was hast du denn wieder angestellt?«, fragte sie schmollend und spielte die tadelnde Ehefrau.
»Das war er«, sagte Gatow und zeigte auf Henry, der es einen Augenblick lang für bare Münze nahm. Dillon verlangte nach der Rechnung, und trotz der Bitte, zu bleiben, zog er brummend ab.
»Auf eines bin ich neugierig«, Frank blickte dem Winzer hinterher, »nämlich wie die Chaostheorie sich bei Amber auswirkt. War der Flügelschlag des Schmetterlings der Mord, oder hat der Flügelschlag vor langer Zeit stattgefunden und erst jetzt zum Mord geführt? Und was wird als Nächstes geschehen und was danach?« Er kniff die Augen zusammen und duckte sich, als würde er Schlimmes erwarten.
Antonias Antwort darauf war nicht für Henry bestimmt, sie erfolgte auf Italienisch, und Frank zog eine Flunsch.
»Ich werde mir nicht von dummen Fragen diesen wunderbaren Opernabend verderben lassen«, meinte Antonia Vanzetti jetzt auf Englisch, »das war nämlich das Hauptthema auf dem Cocktailempfang eben. Da möchte ich mir auch nicht eure Mordtheorien anhören.«
Da man morgen bereits um zehn Uhr mit den Proben fortfahren würde, wolle sie lieber mit ihrem Mann später noch ein wenig allein sein, denn nach der Challenge fahre sie mit dem Zug zurück nach Florenz, wo sie abgeholt werde.
»Vorausgesetzt, die Polizei lässt uns reisen. Die wird doch nicht einfach hundertvierzig Personen nach Belieben festhalten«, vermutete sie. »Franco wird mindestens noch zwei Wochen bleiben und im ›Il Calice‹ wohnen, das wäre sicherauch für Sie ein ideales Quartier, Signore Meyenbeeker, mitten drin im Kaiserstuhl.«
»Und wir könnten einiges zusammen erledigen und uns helfen. Das ist allemal kurzweiliger.«
»Ich kann mir denken, weshalb du bleiben willst«, sagte Antonia Vanzetti zu ihrem Mann, »aber versprich mir, dass du dich aus der Mordsache raushältst, misch dich nicht ein!«
»Auf gar keinen Fall«, schwor Frank, aber seine Frau blieb skeptisch.
»Wir werden morgen erleben, was passiert, wenn die Fotos vom Rosenkavalier in den Zeitungen sind. Wenn Heckler erfährt, dass die Bilder von Franco stammen, wirft er uns raus, dann können wir abreisen. Ich kenne Franco, an dem Abend, als das auf der Bühne passierte, brach sofort der alte Fotoreporter bei ihm durch. Ich hoffe, Signore Meyenbeeker, dass Sie vernünftiger sind als mein Mann. Halten Sie ihn von Abenteuern ab. Ich kenne ihn und weiß, was passiert, wenn die Neugier und der Tatendrang ihn packen.«
Signora Vanzetti studierte die
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