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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Auftrag. »Bitte, bei welcher Angelegenheit sind wir ›unter uns‹, welcher Umstand stimmt Sie froh?« War das höflich genug und zwingend, um darauf zu antworten?
    »Er meinte damit«, sagte der Önologe, der sich setzte und dem es anscheinend unangenehm war, in dieses Gespräch einbezogen worden zu sein, »dass doch typisch sei, dass bei einer Veranstaltung, die mit dem Genießen zu tun hat, keine Islamisten unter uns sind. Fragen Sie mich bitte nicht, ob ich den Unterschied zwischen Islamisten und Mohammedanern kenne, noch habe ich jemals den Koran in Händen gehabt.«
    »Aber Signore Castellani, gerade Sie als Italiener!« Van Buyten blickte ihn herausfordernd an. »Sie haben das Problem Lampedusa sozusagen vor der Haustür, das Einfallstor   … darum geht es in Europa.«
    Für Henry warteten in Europa wichtigere Fragen auf Antwort. »Was würde Sie stören, wenn ein Türke oder Marokkaner hier säße und mit uns probieren würde? Türke! Ist das zum Kampfbegriff geworden? Ich hielt Holländer immer für liberal und weltoffen. Sind die sechzigtausend Niederländer aus der Waffen-SS von den Toten auferstanden?«
    Nach Henrys Provokation herrschte am Tisch eisiges Schweigen. Van Buyten wühlte in seiner Verkostungsmappe. Er merkte, dass er mit seinem Gedankengut an diesem Tisch allein war. Er schaute verbissen, trug wieder schlechte Laune mit sich herum. Die anderen rutschten unruhig auf ihren Plätzen herum, bis das gegenseitige Lächeln Einverständnis hergestellt hatte, vorerst. Die Mappen mit den Verkostungsblättern wurden aufgeschlagen, die Arbeit begann. Mrs.   Rider als Vorsitzende nickte sowohl auffordernd wie aufmunternd in die Runde und bedeutete Henry mit einem Blick, das Thema zu beenden.
    Nach dem Referenzwein sprachen sie noch einmal die Bewertungsbögen durch. Unter der Kategorie »Aussehen« ging es um die Klarheit des Weins, um den Aspekt, ein Begriff, der sich Henry erst durch das Spanische
aspecto
erschloss. Mit diesem Wort verband er einen konkreten Sachverhalt. Im Deutschen war für ihn der Aspekt mehr ein Gesichtspunkt, und der passte weniger zu Wein; »Aspekt« hatte er in seinen Weinbeschreibungen nie benutzt, es war ihm zu abstrakt. »Aussehen« passte besser. Auch über den Anblick ließ sich einiges sagen.
    Der Geruch des Weins war ein wesentlicher Faktor für die Bewertung, hier konnte er bereits punkten. Es ging um Offenheit, ob er zeigte, was in ihm steckte. Positive Intensität und Qualität waren für die Beurteilung des Geruchs ebenso bedeutend. Zwischen diesen Kategorien zu unterscheiden und sie richtig zuzuordnen war eine Sache der Erfahrung. Die war einmal mehr beim Geschmack gefordert. Tannine ließen sich schlecht riechen, genauso wie Süße und Säure, und an das Verhältnis der beiden für einen Wein wesentlichen Komponenten kam man nur über die Zunge, den Gaumen und den Rachenraum. Die Rezeptoren für Süße lagen hauptsächlich im vorderen Teil der Zunge, die für Bitterstoffe im hinteren. Sauer und salzig wurde mehr an den Rändern wahrgenommen, aber am wichtigsten war die olfaktorische Wahrnehmung, die des Geruchs.
    Mit Dorothea hatte Henry bereits in der Frühe über seine Idee bezüglich des Hackers gesprochen. Von ihr wusste er, dass die Verkostungsblätter hinterher begutachtet wurden und anhand der Ergebnisse die Verkoster für die nächste Challenge ausgewählt wurden. Ließ sich womöglich durch die Kombination von Verkostern bei bestimmten Weinen ein gewünschtes Ergebnis erzielen? Das hatte Dorothea niemandem unterstellen wollen.
    Als Nächstes ging es um den Geschmack mit den Unterpunkten Offenheit, Intensität, Abgang und Qualität. Obwohlihm das Spanische
calidad
nahe war, konnte er in diesem Fall mit dem deutschen Begriff »Qualität« mehr anfangen.
    Die Vielfalt ist schon der richtige, der einzige Weg, dachte Henry mit Blick auf den miesepetrigen van Buyten, der ihm zusehends unsympathischer wurde, Vielfalt nicht nur beim Wein, sondern auch bei den Menschen. In einem sich in Geldstreitereien entzweienden Europa ging das Augenmaß verloren, auch diesem Niederländer. Wollte er in seiner Engstirnigkeit das berühmte Rad der Geschichte zurückdrehen, und das irgendwann wieder mit Gewalt?
    Dass Marion Dörner auftauchte, war verständlich, sie gehörte zu den Organisatoren, aber dass sie direkt auf Henry zuging, verwirrte ihn doch. Er fürchtete die Begegnung mit der in ihrer Eitelkeit gekränkten Frau. Wieder bestätigte sich der Satz, keinem trauen zu

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