Sein letzter Fall - Fallet G
Ihnen mitzuteilen, dass wir die Zusammenarbeit mit Ihnen aufkündigen.«
»Zusammenarbeit?«, wiederholte Verlangen. »Was für eine verdammte Zusammenarbeit denn? Er hat wohl Sklavenarbeit gemeint! Da musst du dich verhört haben, du verfluchtes Schoßhündchen!«
»Nun hör mal«, erwiderte Krotowsky. »Es gibt keinen Grund, dass du dich deshalb so aufregst. Du wusstest doch, wie die Sache steht, und…«
»Weißt du, was du tun kannst, du verdammter Arschlecker«, fuhr Verlangen jetzt aufgekratzt fort. »Du kannst dir deinen fetten Direktor nehmen und ihn dir in deinen eigenen beschissenen Mopshintern stopfen. Glaubst du denn, dass ich nichts Wichtigeres zu tun habe, als hier deinem debilen Geschwafel zuzuhören?«
»Also, jetzt ist aber…«, sagte Krotowsky. »Wenn ich dich das nächste Mal sehe, dann kannst du gleich…«
»Piss off!«, erklärte Verlangen und knallte den Hörer auf.
Denen habe ich es aber gegeben, dachte er und rülpste zufrieden. Streckte sich nach der Bierdose auf dem Tisch aus und überlegte, wo die Fernbedienung wohl hin entschwunden war.
Der Journalist behauptete, Hoegstraa zu heißen und bei der Poost zu arbeiten.
»Wieso rufen Sie mich zu Hause an?«, fragte Van Veeteren.
»Ich habe es in der Polizeizentrale versucht, aber da wurde mir gesagt, dass Sie für heute bereits Schluss gemacht haben.«
»Was wollen Sie?«
»Es betrifft die Anklage gegen Jaan G. Hennan, er ist ja heute freigesprochen worden, und man sagt, dass Sie bisher noch jeden Fall geklärt haben…«
Er machte eine Pause, die Van Veeteren aber nicht füllte.
»Darum sind wir einfach an einem Kommentar des Kommissars interessiert.«
»Ich habe keinen Kommentar abzugeben.«
»Aber wenn es nun wirklich so ist, dass…«
»Haben Sie Probleme, das zu kapieren? Ich habe gerade gesagt, dass ich keinen Kommentar abgebe.«
Drei Sekunden lang blieb es still.
»Ach so«, sagte der Journalist. »Ja, dann vielen Dank.«
»Keine Ursache«, sagte der Kommissar.
Das Gespräch mit Erich dauerte eine halbe Stunde.
Zumindest vergingen dreißig Minuten von dem Moment an, als Van Veeteren in dessen Zimmer trat, bis zu dem, als er es wieder verließ. Erich saß auf dem Bett, er selbst auf der Schreibtischkante. Das, was eigentlich gesagt wurde, hätte auf einer Serviette oder in einem Sonett Platz gefunden, dachte er, wenn jemand auf die Idee gekommen wäre, es aufzuschreiben – aber dennoch gab es so eine Art Verständnis zwischen ihnen. Zumindest bildete er sich das ein, und als Bestätigung dieser neuen, unerwarteten Ebene ergriff Erich ganz am Ende des Gesprächs die Initiative.
»Es gibt eigentlich nur ein Problem«, sagte er.
»Lass hören«, erwiderte der Vater.
»Mir gefällt es nicht auf der Welt«, sagte der Sohn. »Wie soll man sich verhalten, wenn man eigentlich nicht leben will?«
Zuerst verstand er nicht, was Erich sagte, aber dann formten sich die Worte zu… zu einer geballten Faust aus Eis, die immer tiefer glitt und irgendwo gleich unter dem Herzen stecken blieb.
Wenn man eigentlich nicht leben will?
Sein eigener Sohn.
Eine Unendlichkeit kleiner, winzig kleiner Zeitabschnitte eilte vorbei, während das Eis sich mal verfestigte, mal ein wenig schmolz, und währenddessen schienen beide, Vater und Sohn, in einer Art privater Grundeinsamkeit eingekapselt dazusitzen. Zurück auf Start. Oder auf Null.
Er fand keine Antwort. Keine Worte.
Genauer gesagt, fand er ein Dutzend vielleicht möglicher Dinge, die er hätte sagen können, aber ihnen allen haftete eine lauwarme Altklugheit an, so dass er es lieber sein ließ. Stattdessen saßen sie in einer Form von Respekt vor Erichs Worten und vor dem Schweigen an sich beieinander. Es vergingen fünf Minuten, vielleicht zehn. Dann nahm er seinen Sohn unbeholfen in die Arme und stand auf.
Blieb noch eine Weile in der Türöffnung stehen.
»Vergiss nicht, dass ich dich liebe«, sagte er. »Wenn ich glauben würde, dass es einen Gott gibt, dann würde ich für dich beten.«
»Ich weiß«, sagte Erich. »Danke.«
Er wusste, dass er nicht würde schlafen können, also machte er gegen Mitternacht einen langen Abendspaziergang mit Bismarck. Trieb sich so lange im Randers Park herum, bis er an jeder verfluchten Parkbank und an jedem verdammten Mülleimer mindestens drei Mal vorbeigekommen war.
Warum will man nicht mehr leben, wenn man sechzehn ist?, fragte er sich.
Er versuchte, sich daran zu erinnern, ob er selbst das Leben als eine absolute Unumgänglichkeit
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