Sein letzter Fall - Fallet G
Ich muss schon sagen, ich kann nicht verstehen, worauf man eigentlich hinaus will.«
Richter Hart beugte sich über den Richtertisch vor, und die Anwältin ging zu einem anderen Thema über.
»Stimmt es, dass Sie Direktor Kooperdijk von der Versicherungsgesellschaft Trustor kennen?«
Verlangen zögerte eine Sekunde lang, gab dann auf.
»Ja.«
»In welcher Form?«
»Ich mache so einige Jobs für ihn.«
»Ach ja? Sie arbeiten also auch für F/B Trustor, die Gesellschaft, bei der mein Mandant seine Versicherungen abgeschlossen hat?«
»Ein klein wenig, ja.«
»Als eine Art Versicherungsdetektiv?«
»Das kann man so sagen.«
»Danke. Und ist es unter anderem Ihre Aufgabe, so genannte Versicherungsbetrügereien aufzudecken?«
»Unter anderem, ja.«
Die Anwältin machte eine Kunstpause, die Van Veeteren auf mindestens fünf Sekunden schätzte, um diese Information bei allen Geschworenen so richtig sacken zu lassen.
»Dann kann man also behaupten«, griff sie den Faden wieder auf, »dass Sie ein berufsmäßiges Interesse daran haben, dass mein Mandant wegen des Todes seiner Ehefrau zur Verantwortung gezogen wird? Denn wenn dem so ist, dann muss ja die Versicherung nicht…«
»Ich habe natürlich nicht…«
»Ja oder nein, Herr Verlangen?«
»Nein, ich habe nichts damit zu tun.«
Die Anwältin machte erneut eine Pause, während sie Verlangen mit leicht gehobenen Augenbrauen betrachtete.
»Herr Verlangen«, sagte sie dann. »Ich habe ein Gespräch mit Direktor Kooperdijk geführt, und er hat mir die Situation dargelegt. Ist es denn nicht so, dass man mit Ihrer Arbeit als Versicherungsdetektiv nicht zufrieden ist und dass es ziemlich viel für Sie bedeuten würde, wenn die Gesellschaft Herrn Hennan die Versicherungssumme nicht auszahlen müsste? Ist es nicht so, dass Sie – abgesehen von dem rein berufsmäßigen – auch ein rein persönliches Interesse daran haben, dass genau dies passiert?«
»Ich kann wirklich nicht…«
»Möchten Sie, dass wir Herrn Direktor Kooperdijk noch einmal aufrufen, damit er diese Angaben bestätigt?«
Verlangen gab keine Antwort. Er rieb sich ein paar Mal mit den Knöcheln der rechten Hand über Kinn und Wangen und sah ein wenig verwirrt aus – als ob es ihn überraschte, sein Gesicht ausnahmsweise einmal rasiert vorzufinden. Unruhig ließ er seinen Blick zwischen der Anwältin, den Geschworenen und den Zuhörern hin und her wandern. Wieder vergingen fünf Sekunden.
»Ich stelle fest, dass der Zeuge es vorzieht, meine Frage nicht zu beantworten«, konstatierte Van Molde. »In diesem Fall sehe ich keinen Sinn darin, fortzufahren. Keine weiteren Fragen.«
Sie setzte sich. Richter Hart forderte Verlangen auf, den Zeugenstand zu verlassen. Anschließend stopfte er alle Brillen in verschiedene Taschen, schaute aus nächster Entfernung auf seine Armbanduhr und erklärte die heutige Sitzung für beendet.
Als Van Veeteren aus Linden hinausfuhr, begann es zu regnen. Ein kräftiger Gewitterschauer, der offensichtlich schon den ganzen schwülen Nachmittag lang auf der Lauer gelegen und sich aufgeladen hatte. Er fuhr an den Straßenrand und hielt an. Wühlte eine Weile zwischen den Kassetten in seinem Handschuhfach und fand schließlich Faurés Requiem. Er legte es auf. Überlegte einen Moment und entschied sich dann für einen Umweg. Zwanzig Minuten Autofahrt waren zu kurz, er brauchte mindestens eine Stunde. Wieder fuhr er los, bog am äußeren Kreisverkehr nach rechts ab und fuhr Richtung Süden nach Linzhuisen und Weil statt geradeaus weiter.
Das geht einfach nicht, dachte er. Das geht ganz und gar nicht. G. wird davonkommen, und es gibt nichts, was ich dagegen tun kann. Ganz gleich, wie die Schlussplädoyers morgen ablaufen werden, die Geschworenen werden ihn freisprechen. Ich habe es die ganze Zeit gewusst, und jetzt sind wir so weit.
Irgendwie verwunderte es ihn, dass er nicht verwundert war. Oder erschöpft. Es war das erste Mal, dass er einen Mörder laufen ließ.
Aber so ein Tag hatte natürlich irgendwann kommen müssen, das hatte er gewusst. Kommissar Mort hatte ihm erzählt, was für ein Gefühl es war, wenn man seinen ersten Fall verlor, Borkmann auch. Was Van Veeteren betraf, so hatte es über zwanzig Jahre gedauert, bis es dazu kam, das war wahrscheinlich irgendeine Art Rekord, aber gerade jetzt interessierte ihn dieser Aspekt des Problems nicht die Bohne. Er hatte Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten, und zwar mehr als genug, die gesamten Ermittlungen waren
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