Sein letzter Fall - Fallet G
auch drei, bis er den Zusammenhang begriff. Dann aber überrollte es ihn mit der Wucht eines Dreitonners. Wie ein… wie ein Messerkratzen auf einem Topfboden oder ein Nagel, der über eine Tafel gezogen wird. Er schaute auf die Uhr. Es war noch eine halbe Stunde bis zum Ladenschluss. Belle Vargas zupfte unruhig an ihrer Schultertasche herum. Er begriff, dass sie darauf wartete, ob er sie abweisen würde oder nicht.
»Ich glaube…«, sagte er. »Ich glaube, wir brauchen erst einmal eine Tasse Kaffee.«
Ich bin doch wach?, dachte er.
»Es ist fünfzehn Jahre her, ich hoffe, das ist Ihnen klar?«
»Ich weiß. Kommissar Münster hat mich auch schon darauf hingewiesen, aber daran brauche ich nicht erinnert zu werden. In den letzten Jahren ist es mit meinem Vater bergab gegangen, am besten sage ich Ihnen das gleich. Ich will nicht behaupten, dass es mit dieser Geschichte anfing, aber sie war doch in gewisser Weise entscheidend… sie hat ihn zerbrochen.«
Sie zögerte und rührte in ihrer Kaffeetasse um.
»Belle?«, fragte Van Veeteren. »Sie heißen Belle? Ich erinnere mich sogar noch daran, dass er von seiner Tochter gesprochen hat. Wie alt waren Sie damals?«
Man soll eine Frau nie nach ihrem Alter fragen, dachte er, aber wenn er wissen wollte, wie alt sie vor einer gewissen Anzahl von Jahren gewesen war, dann war es doch irgendwie etwas anderes.
»Sechzehn, siebzehn«, sagte sie. »Er hatte damals noch sein Detektivbüro, mein Vater, aber nach dieser G.-Geschichte hat er es nie wieder in Schwung bekommen. Sicher, er hat sein Büro bis vor ein paar Jahren behalten, aber fast nie wieder einen Auftrag gekriegt…«
»Verstehe«, sagte Van Veeteren und holte seine Zigarettendrehmaschine heraus. »Ich denke, es wäre gut, wenn Sie mir jetzt erzählen könnten, was eigentlich passiert ist. In der Gegenwart sozusagen.«
»Entschuldigen Sie«, sagte Belle Vargas erneut, und eine leichte Röte huschte über ihr Gesicht. »Ja, ich weiß also nicht, was passiert ist… außer, dass er verschwunden ist. Normalerweise habe ich so einmal die Woche Kontakt mit ihm… aber jetzt ist schon fast ein Monat vergangen.«
»Wo wohnt er?«
»In der Heerbanerstraat. In derselben muffigen kleinen Wohnung wie seit seiner Scheidung… mehr als zwanzig Jahre lang, nein, ich fürchte, mein Vater hat kein besonders lustiges Leben geführt.«
»Vielleicht hat er das auch eingesehen und irgendwo anders von vorn angefangen.«
Sie lachte kurz auf.
»Mein Vater? Nein, Sie kennen ihn nicht, sonst würden Sie das nicht sagen. Und er würde nie weggehen, ohne es mich wissen zu lassen. Er ist…«
Sie suchte nach den richtigen Worten.
»… er ist ziemlich einsam. Ich glaube, ich bin der einzige Mensch, der in seinem Leben von Bedeutung ist. Ich und die Kinder, ich habe einen Jungen und ein Mädchen…«
»Verstehe«, wiederholte Van Veeteren. »Doch, ja, ich habe auch den Eindruck gehabt, dass er so eine Art einsamer Wolf ist… bereits damals. Vor fünfzehn Jahren. Aber jetzt soll er also verschwunden sein?«
Sie nickte und schluckte. »Ja. Soweit ich weiß, ist er seit dem Dritten oder Vierten nicht mehr zu Hause gewesen. Ich bin vorgestern in der Heerbanerstraat gewesen und habe jede Menge Post und Reklame gefunden, natürlich in erster Linie Reklame. Es… es muss ihm etwas zugestoßen sein.«
Ihre Stimme zitterte, und ihm war klar, dass sie sehr viel beunruhigter war, als sie sich den Anschein gab.
»Womit hat er sich in letzter Zeit beschäftigt?«
Ich hätte sagen sollen, woran arbeitet er, dachte er, aber nun war es zu spät.
»Er war in den letzten Jahren arbeitslos… abgesehen von dem einen oder anderen Gelegenheitsjob. Ja, ich kann wohl gleich zugeben, dass er mehr getrunken hat, als gut für ihn war. Ich denke, das war auch schon so, als Sie ihn kennen gelernt haben. Und es… es ist nicht besser geworden.«
Van Veeteren nickte.
»So kann es gehen«, sagte er. »Es tut mir Leid für Sie, und ich kann mir denken, dass es nicht einfach ist. Aber ich verstehe nicht so recht, warum Sie zu mir kommen. Oder warum Kommissar Münster der Meinung ist, dass Sie mich aufsuchen sollten. Ich nehme doch an, dass man eine Suchmeldung herausgeschickt hat?«
»Ja. Und sie haben in den Krankenhäusern nachgefragt und all das… Ich bin darauf eingestellt, dass er durch einen Unfall im Rausch oder so ums Leben gekommen ist, aber da war nichts… ja, und dann sind da noch so ein paar Dinge.«
»Dinge?«, fragte Van Veeteren. »Was
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