Seine einzige Versuchung
besonders innigen Handküsse des Majors auf der Schlittenfahrt. Weitere, leidenschaftlichere Küsse oder gar mehr bleiben der Fantasie des Lesers überlassen. Fontane selber beantwortete die Frage einer Leserin, die sich über den Ehebruch im Ungewissen gelassen fühlte, folgendermaßen: „Dass ich die Sache im Unklaren gelassen hätte, kann ich nicht zugeben, die berühmten Schilderungen - der Gipfel der Geschmacklosigkeit - vermeide ich freilich, aber Effis Brief an Crampas und die mitgeteilten Zettel von Crampas an Effi, die sagen doch alles.“
Nehmen wir Jane Austens Darcy und Elisabeth Bennet: das höchste, was Jane Austen - ebenfalls den moralischen Vorstellungen ihrer Zeit verhaftet - dem wunderbaren Paar an körperlicher Annäherung mit Worten zugesteht, ist: „... Diese Antwort versetzte ihn in einen Glückszustand, wie er ihn wahrscheinlich noch nie erlebt hatte, und er gab seinen Gefühlen einen so deutlichen und herzlichen Ausdruck, wie man es von einem heftig verliebten Mann nur erwarten konnte. Hätte Elisabeth ihm in die Augen schauen können, so würde sie bemerkt haben, wie gut ihm der Ausdruck herzlichen Entzückens, der sich über seine Züge verbreitete, zu Gesicht stand...“ Nach meinem Verständnis beschreibt Miss Austen hier sehr subtil und uneindeutig den ersten Kuss zwischen ihren Helden. Charlotte Brontë war da schon weitaus konkreter, indem sie Mr. Rochester Jane immer wieder küssen und umarmen lässt. Mir gefällt das Subtile in der Darstellung von Liebesszenen in der Literatur dieser Zeit. Und doch habe ich mich immer wieder dabei ertappt, es ein bisschen konkreter wissen zu wollen, mehr Details der aus der Unterdrückung herausbrechenden Leidenschaft der Charaktere zu erfahren, den von Fontane verächtlich geäußerten Gipfel der Geschmacklosigkeit zu erklimmen…
Wir haben heutzutage viel zu wenig von der erwähnten Subtilität - alles ist explizit, schrill, krass, übersexualisiert - je provozierender desto besser. Ja, es scheint eigentlich kaum noch möglich, Provokation hervorzurufen. Was noch vor wenigen Jahren ein Skandal war, entlockt dem Publikum heute nur noch ein müdes Zucken der Augenbrauen. Dies schlägt sich auch im Genre der erotischen Literatur nieder - es müssen immer ausgefallenere Varianten mit noch absurderen Spielarten her, um überhaupt noch Aufmerksamkeit zu erregen. Der Begriff „Erotik“ erscheint mir in diesem Zusammenhang ohnehin eine semantische Fehlbesetzung zu sein. Passender wäre wohl der Begriff „provokante“ oder meinetwegen „pornographische“ Literatur.
Dies ist nicht mein Ding und auch nicht meine Absicht, und ich wage zu behaupten, dies ist keinesfalls das, wonach sich viele Leser sehnen. Im Gegenteil - die Zeichen der Zeit stehen auf Entschleunigung und Reizreduzierung anstatt einem Ausufern in Extreme. Romantische Bücher werden beliebte Filmvorlagen, und Groschenromane feiern ein Comeback, als hätte es niemals eine sexuelle Revolution gegeben. Bücher mit „hohem Erotikfaktor“ werden plötzlich Verkaufsschlager, obwohl dieses Genre bereits seit Jahren ein Schattendasein in der Schmuddelecke führt und Leser, meist Leserinnen, ihre Lektüre verschämt verschwinden ließen, sobald jemand den Raum betrat. Und doch ist es neben dem erotischen Kick immer die Geschichte, die ein solches Buch möglicherweise lesenswert macht - ohne interessante Charaktere, ihre Handlungen und emotionalen Beziehungen bliebe kaum mehr als heiße Luft.
Als große Anbeterin klassischer Liebesdramen bekenne ich mich gleichzeitig zu den wunderbaren Möglichkeiten, die sich dem Leser - oder Autor - durch die Freiheiten der heutigen Zeit bieten. Fehlt es naturgemäß - und vollkommen stimmig - an der eindeutigeren Darstellung der Körperlichkeit der Protagonisten in der klassischen Literatur, findet sich heutzutage erfreulicherweise eine hübsche Auswahl an erotischer Literatur, die diesen Namen durchaus verdient. Da werden die Dinge beim Namen genannt, aber auf taktvolle Art und ohne ständige effekthascherische Grenzüberschreitungen. Leser werden im Idealfall von einer guten Rahmenhandlung unterhalten und können sich auf anregende erotische Szenen freuen.
Meine Intention beim Schreiben von Seine einzige Versuchung war es, beide Elemente - den klassischen historischen Liebesroman als Sittengemälde einer Zeit und die Möglichkeit der konkreteren Darstellung der Körperlichkeit der Romanfiguren - zu verbinden. Kennern mögen vereinzelt Parallelen in
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