Seine einzige Versuchung
nur andeutungsweise von Männern und Frauen und aus Beobachtungen des Tierreichs wusste, wurde nun konkreter durch die erklärenden Worte ihrer Mutter. Leni war einerseits wissbegierig, andererseits war ihr das Thema ein wenig peinlich. Vor allen Dingen die Vorstellung, dass ihre Eltern dergleichen getan haben mussten, trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht. Oder taten sie es etwa immer noch? Ihre Mutter hatte davon gesprochen, dass Männer und Frauen sich nicht nur einander hingaben, um Nachwuchs zu zeugen, sondern auch einfach so - aus Leidenschaft füreinander. Leni war schon als Kind der zärtliche Umgang ihrer Eltern miteinander nicht entgangen. Dies kannte sie in dieser Form nicht von den Eltern ihrer Freundinnen, wenn sie dort zu Besuch war. Meist herrschte dort eine disziplinierte, unterkühlte Atmosphäre zwischen den Eheleuten, während bei ihren Eltern ständig muntere Diskussionen abliefen. Nicht selten ging es in den Gesprächen ihrer Eltern so hoch her, dass Leni schon befürchtete, sie seien ernsthaft böse aufeinander. Doch im Laufe der Zeit verstand sie, dass die beiden sich immer noch und immer wieder viel zu sagen hatten, auch wenn sie dabei nicht fortwährend einer Meinung waren. Sie hatte erkannt, dass es viel schlimmer war, wenn Erwachsene nur noch das Nötigste oder gar nicht mehr miteinander sprachen. Ihre Eltern hingegen führten ihre Kontroversen und waren einander gleichzeitig zutiefst vertraut und zugetan. Ebenso leidenschaftlich wie sie diskutierten, suchten sie die körperliche Nähe des anderen, was sich in vielen liebevollen kleinen Gesten im Alltag ausdrückte, die Leni vertraut und selbstverständlich waren, da sie es nicht anders von ihren Eltern kannte.
Durch die Worte der Mutter war ihre Neugier geweckt worden, was genau sich wohl hinter den Schlafzimmertüren der Eltern abspielen mochte. Eines Tages - sie war inzwischen vierzehn geworden - hatte sie die Eltern im Glauben gelassen, zum Strand hinunter zu gehen, sich dann aber heimlich wieder zum Haus hoch geschlichen. Sie ahnte, dass die beiden die Gelegenheit nutzen würden. Da die Tür zum Schlafzimmer ihres Vaters nur angelehnt war, vermutete sie die beiden im Zimmer ihrer Mutter. Sie hatten die Tür nicht abgeschlossen, wie sie es manchmal aus Vorsicht taten. Leni drückte leise die Türklinke herunter und spähte durch einen kleinen Spalt vorsichtig in das Zimmer hinein. Sie hörte die Stimmen ihrer Eltern, die jedoch nicht wie sonst, sondern merkwürdig fremd klangen. Ihr Vater schien heiser zu sein und murmelte einzelne französische Worte, die sie nicht genau verstehen konnte. Ihre Mutter gab seltsam seufzende Laute von sich. Sie saßen eng umschlungen auf dem Bett. Beide waren nackt. Der schlanke Körper ihrer Mutter leuchtete hell im Halbdunkel des Zimmers, während die dunklere Haut ihres Vaters sich deutlich von ihrer hellen Zartheit abhob. Ihre Schenkel schienen ineinander verknotet und mit den Laken verwoben zu sein. Die eine Hand ihres Vaters lag auf dem angewinkelten Knie ihrer Mutter, die sich eng an ihn schmiegte und ihre Arme um seinen Hals geschlungen hatte. Sie küssten sich auf eine Art, die Leni nie zuvor bei ihnen gesehen hatte. Sie küssten sich oft in ihrem Beisein, aber nie mit einer solchen Intensität. Es sah fast so aus, als berührten sich ihre Zungen - und zwar überaus heftig. Ihr Vater hatte mit seinem anderen Arm die Taille seiner Frau umschlungen und schien sie mit seiner Hand auf ihrem Po immer wieder noch dichter an sich zu pressen, wobei er ihr sein Becken gleichzeitig in rhythmischen Bewegungen entgegen schob. Ihre Mutter warf leise stöhnend den Kopf zurück, so dass ihr offenes Haar die Matratze berührte, während er ihrer Bewegung folgte und ihr Dekolleté und ihre Brüste küsste. Sie sahen nicht aus wie ein älterer Herr und seine nicht ganz so betagte Dame, wie Benthin ganz gerne über sich und Elli in Lenis Gegenwart witzelte. Was Leni sah, waren nicht ihre Eltern, er neunundfünfzig und sie fünfundvierzig Jahre alt. Es war eine bewegliche Skulptur leidenschaftlicher Liebe - alterslos und wunderschön. Leni war reif genug, um zu wissen, dass sie sich nun lieber zurückziehen und die beiden wieder ihrer Privatsphäre überlassen sollte. Sie ging zur Haustür und setzte sich noch für einen Moment auf die Stufe davor, um sich nach dem Dämmerlicht im Haus wieder an das helle Sonnenlicht zu gewöhnen, bevor sie - immer noch gebannt von dem, was sie soeben gesehen hatte -
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