Seine Exzellenz Eugène Rougon
nichts zu wünschen übrig ließ.
Vielleicht wollte sie in dieser Weise die absolute Herrschaft, die
fortwährende Überwachung verbergen, die sie über ihn ausübte. Sie
leitete ihn selbst in seinen geringsten Handlungen, gab ihm jeden
Morgen eine Lektion wie einem Schüler, dem
man mißtraut. Delestang erwies sich übrigens durchaus gehorsam. Er
grüßte, lächelte, erzürnte sich, redete schwarz oder weiß je nach
der Schnur, die sie angezogen hatte. Sobald er nicht mehr
aufgezogen war, legte er selbst sich wieder in ihre Hände, damit
sie ihn zurüste. So behielt er seine Überlegenheit.
Clorinde wartete. Herr Beulin-d'Orchère, der es vermied, des
Abends zu kommen, besuchte sie oft während des Tages. Er beklagte
sich bitter über seinen Schwager und beschuldigte ihn, an dem
Glücke einer Menge Fremder zu arbeiten; es geschehe immer so, man
kümmere sich nicht um die Anverwandten. Rougon allein konnte den
Kaiser davon abhalten, ihn zum Justizminister zu ernennen, aus
Furcht, mit ihm den Einfluß im Kabinett teilen zu müssen. Die junge
Frau stachelte seinen Groll noch an. Dann sprach sie in halben
Worten von dem bevorstehenden Triumphe ihres Gatten, eröffnete ihm
die unbestimmte Hoffnung, in die neue Minister auf Stellung
miteinbezogen zu werden. Im Grunde bediente sie sich aber seiner
nur, um zu erfahren, was bei Rougon vorgehe. Mit der Bosheit des
Weibes hätte sie gewünscht, daß er in seiner Ehe unglücklich sei,
und sie trieb den Richter an, seine Schwester für seine Klagen zu
gewinnen. Er mußte sicherlich den Versuch gemacht haben, ganz laut
eine Heirat zu bedauern, die ihm keinerlei Nutzen brachte; allein
angesichts der Ruhe der Frau Rougon kam er damit nicht weit. Sein
Schwager – sagte er – Bei seit einiger Zeit sehr nervös. Er gab zu
verstehen, daß er ihn reif für den Sturz halte. Dabei faßte er die
junge Frau fest ins Auge; er erzählte ihr charakteristische
Tatsachen mit der Miene eines Plauderers, der ohne Übelwollen den
Tratsch der Leute weitererzählt. Warum handelte sie nicht, wenn sie
die Herrin war? Doch sie streckte sich nur noch behaglicher aus,
nahm die Miene einer Person an, die das Regenwetter zwingt, zwischen ihren vier Pfählen zu
bleiben und des ersten Sonnenstrahles zu harren.
Inzwischen wuchs in den Tuilerien die Macht Clorindens. Man
sprach im Flüstertone von der lebhaften Laune Seiner Majestät für
sie. Auf den Hofbällen, bei den öffentlichen Empfängen, überall wo
der Kaiser ihr begegnete, umschlich er sie mit seinem schleppenden
Gang, schaute ihr in den backen, sprach ganz vertraulich zu ihr mit
einem schwachen Lächeln. Und man erzählte, sie habe ihm noch nichts
bewilligt, nicht einmal die Spitze ihrer Finger. Sie spiele ihre
ehemalige Rolle eines heiratslustigen Mädchens, sei sehr frei und
sehr herausfordernd, sage alles und zeige alles und sei dabei
unablässig auf ihrer Hut, entschlüpfe just in dem gewünschten
Augenblick. Sie scheine die Leidenschaft des Herrschers reifen zu
lassen, auf eine Gelegenheit zu warten, die Stunde vorzubereiten,
da er ihr nichts mehr werde verweigern können, um so den Triumph
eines seit langer Zeit entworfenen Planes zu sichern.
Um jene Zeit zeigte sie sich plötzlich sehr zärtlich gegen Herrn
von Plouguern. Es bestand seit Monaten ein Zerwürfnis zwischen
ihnen. Der Senator, der sehr häufig zu Besuch gekommen war und fast
jeden Morgen erschien, wenn sie das Bett verließ, hatte sich eines
schönen Tages gekränkt gefühlt, weil er vor der Türe warten mußte,
während sie ihre Toilette machte. Von einer Anwandlung von Scham
ergriffen, errötete sie und erklärte, sie wolle nicht mehr von den
grauen Augen des Greises, in denen gelbe Flammen sich entzündeten,
geneckt und belästigt sein. Allein er wehrte sich und wollte nicht
mit aller Welt zugleich erscheinen in den Stunden, wo ihr Zimmer
von Besuchern gefüllt war. War er nicht ihr Vater? Hatte er sie
nicht, als sie noch klein war, auf seinen Knien geschaukelt? Er
erzählte lachend, wie er ihr oft genug die Röcke aufgehoben,um sie zu züchtigen. Sie brach schließlich mit ihm,
als er eines Tages trotz des Geschreies und der Faustschläge
Antonias eintrat, während sie sich im Bade befand. Wenn Herr Kahn
oder der Oberst Jobelin sie nach Neuigkeiten von Herrn von
Plouguern fragte, antwortete sie mit gespitzten Lippen:
»Er verjüngt sich, er ist kaum zwanzig Jahre alt … Ich sehe
ihn nicht mehr.«
Dann sah man plötzlich nur Herrn von Plouguern bei ihr. Zu
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