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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Staatsrat zurückkehren und mit dem
Minister brechen, als sie von den Mißbräuchen des letzteren gehört
hatten. Der Oberst erzählte, wie der Dicke sich absolut geweigert
habe, für ihn vom Kaiser eine Stelle in den kaiserlichen Schlössern
zu erbitten. Herr Béjuin jammerte, weil der Kaiser nicht gekommen
sei, die Glasfabrik in Saint-Florent zu besuchen, als er jüngst
seine Reise nach Bourges machte, trotzdem sich Rougon in aller Form
verpflichtet habe, diese Gunst zu erlangen. Inmitten dieser Sturzflut von zürnenden
Reden saß die Gräfin Balbi auf ihrem Diwan lächelnd da, betrachtete
ihre noch immer feisten Hände und rief von Zeit zu Zeit mit leiser
Stimme:
    »Flaminio!«
    Der lange Teufelskerl von einem Bedienten hatte eine kleine
Schildpattdose voll Krauseminzpastillen aus der Tasche gezogen. Die
Gräfin knusperte sie mit der Miene einer alten, naschhaften
Katze.
    Erst gegen Mitternacht kam Delestang heim. Als man ihn den
Türvorhang des Zimmers emporheben sah, trat tiefe Stille ein, und
alle Hälse wurden länger. Doch der Türvorhang fiel wieder herab;
niemand folgte ihm. Nach einem abermaligen Stillschweigen von
einigen Sekunden wurden dann allerlei Rufe laut.
    »Sie sind allein?«
    »Sie haben ihn nicht mitgebracht?«
    »Haben Sie den Dicken unterwegs verloren?«
    Man atmete ordentlich auf. Delestang erklärte, Rougon sei sehr
müde gewesen und habe ihn an der Ecke der Marbeufstraße
verlassen.
    »Er hat recht getan«, sagte Clorinde und streckte sich vollends
auf dem Bette aus. Er ist so wenig unterhaltend.«
    Das war das Zeichen zu einer neuen Flut von Klagen und
Beschuldigungen. Delestang widersprach, ließ wiederholt ein
»Erlauben Sie! Erlauben Sie!« vernehmen. Er spielte gewöhnlich den
Verteidiger Rougons. Als man ihn reden ließ, sagte er in gemessenem
Tone:
    »Sicherlich hätte er einigen seiner Freunde gegenüber besser
handeln können. Dies hindert aber nicht, daß er ein sehr kluger
Mann ist … Was mich betrifft, so werde ich ihm ewig dankbar
sein … «
    »Wofür?« rief Herr Kahn wütend.
    »Für alles, was er getan hat.«
    Man fiel ihm heftig ins Wort. Rougon habe nie etwas für ihn
getan. Wie komme er zu der Behauptung, daß Rougon etwas getan
habe?
    »Sie sind erstaunlich«, sagte der Oberst. »Man treibt die
Bescheidenheit nicht so weit. Mein lieber Freund, Sie hatten
niemanden nötig; Sie sind durch Ihre eigene Kraft
vorwärtsgekommen.«
    Damit feierte man die Verdienste Delestangs. Seine Musterfarm la
Chamade war eine außerordentliche Schöpfung, die schon längst seine
Vorzüge als eines guten Administrators und eines wahrhaft begabten
Staatsmannes bekundete. Er habe einen Scharfblick, einen klaren
Verstand, eine energische und doch ruhige Hand. Habe ihn übrigens
der Kaiser nicht vom ersten Tage an ausgezeichnet? Er stimme fast
in allen Stücken mit Seiner Majestät überein.
    »Lassen Sie gut sein,« erklärte schließlich Herr Kahn, »Sie
halten Rougon. Wären Sie nicht sein Freund, würden Sie ihn nicht im
Ministerium unterstützen, wäre er binnen zwei Wochen gestürzt.«
    Delestang protestierte noch immer. Er sei allerdings nicht der
erstbeste, aber man müsse jedermanns Vorzügen Gerechtigkeit
widerfahren lassen. So habe Rougon diesen Abend in der Beratung
über eine sehr verwickelte und sehr wichtige Frage, die bei dem
Justizminister gehalten wurde, einen sehr scharfsinnigen Ausweg
gefunden.
    »Die Pfiffigkeit des geriebenen Advokaten«, murmelte Herr La
Rouquette mit verächtlicher Miene.
    Clorinde hatte den Mund noch nicht geöffnet. Die Blicke wandten
sich ihr zu, als forderten sie das Wort, das alle erwarteten. Sie
wälzte sanft den Kopf auf dem Polster, wie um sich den Nacken zu
kratzen. Endlich sagte sie, von ihrem Gatten sprechend, doch ohne
ihn zu nennen:
    »Ja, zanken Sie ihn nur aus … Man muß
ihn geradezu prügeln, um ihn eines Tages auf den ihm gebührenden
Platz zu stellen.«
    »Die Stellung eines Ministers für Ackerbau und Handel ist eine
Stellung zweiten Ranges«, sagte Herr Kahn, um die Dinge zu
brüskieren.
    Das hieß: den Finger an die Wunde legen. Clorinde litt sehr
darunter, ihren Gatten in einem »kleinen Ministerium« eingepfercht
zu sehen. Sie setzte sich plötzlich auf und ließ das von allen
erwartete Wort vernehmen:
    »Er bekommt das Ministerium des Innern, sobald wir wollen!«
    Delestang wollte sprechen. Doch alle waren herbeigeeilt und
umgaben ihn mit geräuschvoller Zustimmung. Da schien er sich
besiegt zu erklären. Allmählich

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