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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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jeder
Stunde war er da, in allen Ecken des Toilettekabinetts, in den
intimsten Winkeln ihres Schlafzimmers. Er wußte, wo sie ihre
Leibwäsche verwahrte, reichte ihr ein Hemd oder ein Paar Strümpfe;
man hatte ihn sogar dabei betroffen, wie er ihr das Mieder
zuschnürte. Clorinde bekundete die herrischen Neigungen einer jung
verheirateten Frau.
    »Pate, hole mir die Nagelfeile aus dem Schubfache … Pate,
reiche mir den Schwamm … «
    Das Wort 
Pate
 klang wie eine Liebkosung. Er
sprach jetzt häufig von dem Grafen Balbi und gab genaue
Einzelheiten über Clorindens Geburt an. Er log, wenn er behauptete,
die Mutter der jungen Frau im dritten Monat ihrer Schwangerschaft
gekannt zu haben. Und wenn die Gräfin mit ihrem ewigen Lächeln in
dem verwitterten Antlitz bei dem Morgenempfang Clorindens in dem
Zimmer anwesend war, sandte er der alten Dame verständnisvolle
Blicke zu, lenkte mit einem Augenblinzeln ihre Aufmerksamkeit auf
eine nackte Schulter, auf ein halb enthülltes Knie.
    »Gelt, Lenora, Ihr ganzes Ebenbild!« murmelte er.
    Die Tochter erinnerte ihn an die Mutter. Sein knochiges Antlitz
flammte. Er streckte die dürren Hände aus, faßte Clorinde, drückte
sich an sie, um ihr irgendeine schmutzige Geschichte zu erzählen.
Das machte ihm Vergnügen. Er war Voltairianer, leugnete alles, bekämpfte die letzten
Bedenken der jungen Frau, indem er mit einem Kichern, das wie das
Kreischen eines schlecht geölten Brunnenschwengels klang, ihr
sagte:
    »Närrchen, das ist ja erlaubt! … Sobald es Vergnügen macht,
ist es erlaubt.«
    Man wußte nie, wie weit die Dinge zwischen ihnen gediehen.
Clorinde bedurfte damals des Herrn von Plouguern; sie hatte in dem
geplanten Drama ihm eine Rolle zugedacht. So geschah es bei ihr
zuweilen, daß sie Freundschaften erkaufte, deren sie sich nachher
nicht bediente, wenn sie ihren Plan änderte. Es war in ihren Augen
gleichsam ein Händedruck, den sie leichthin und ohne Nutzen
jemandem gegeben. Sie besaß jene kühne Geringschätzung ihrer
eigenen Gunstbezeugungen, die in ihr die gewöhnliche
Rechtschaffenheit verdrängte und sie ihren Stolz in andere Dinge
setzen ließ.
    Indes zog sich ihr Harren in die Länge. Sie sprach in verhüllten
Worten mit Herrn von Plouguern von einem unbestimmten, nebelhaften
Ereignisse, das nicht kommen wolle. Der Senator schien Berechnungen
anzustellen und machte dabei die gedankenvolle Miene eines
Schachspielers. Dann schüttelte er den Kopf; sicherlich hatte er
nichts gefunden. Sie selbst erklärte, wenn Rougon zu Besuch kam,
was sehr selten geschah, daß sie müde sei und drei Monate in
Italien zubringen wolle. Dann schloß sie halb die Augen und
beobachtete ihn so mit spitzigen, leuchtenden Blicken. Ein Lächeln
ausgesuchter Grausamkeit kräuselte ihre Lippen. Sie hätte schon
jetzt den Versuch machen können, ihn mit ihren schmalen Fingern zu
erdrosseln; allein sie wollte ihn gründlich abmurksen, und es war
für sie ein Genuß, ihre Fingernägel geduldig wachsen zu sehen.
Rougon, der stets sehr beschäftigt war, reichte ihr
zerstreut die Hand zum Gruße, ohne das
nervöse Fieber ihrer Haut zu merken. Er glaubte, sie sei jetzt
vernünftiger geworden; und beglückwünschte sie zu ihrem Gehorsam
gegen ihren Gatten.
    »So wollte ich Sie sehen«, sagte er. »Sie handeln ganz recht,
die Frauen sollen ruhig zu Hause bleiben.«
    Und wenn er fort war, rief sie mit einem schrillen Lachen:
    »Mein Gott, wie dumm ist er! … Und da findet er noch, daß
die Frauen dumm seien!«
    Endlich trat an einem Sonntag abends gegen zehn Uhr, als die
ganze Gesellschaft in dem Zimmer Clorindens versammelt war, Herr
von Plouguern mit triumphierender Miene ein.
    »Nun,« fragte er, anscheinend in großer Entrüstung, »kennen Sie
den neuesten Streich Rougons? Jetzt ist das Maß aber voll.«
    Man umdrängte ihn. Niemand wußte etwas.
    »Es ist abscheulich!« rief er und streckte die Arme in die Luft.
»Man begreift nicht, wie ein Minister so tief sinken kann …
«
    Er erzählte die Geschichte in einem Zuge. Als die Charbonnels in
Faverolles eintrafen, um daselbst von der Hinterlassenschaft ihres
Vetters Chevassu Besitz zu ergreifen, erhoben sie ein großes
Geschrei wegen des angeblichen Verschwindens einer bedeutenden
Menge Silberzeuges. Sie beschuldigten die Magd, die mit der
Bewachung des Hauses betraut gewesen, eine sehr fromme Person. Bei
der Nachricht von der Entscheidung des Staatsrates mußte diese
Unglückliche im Einverständnisse mit den Schwestern von

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