Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
ich der richtige Journalist sei, sowohl
was den dokumentarischen Zuschnitt des Buchs betraf, als auch hinsichtlich der
Vertraulichkeit, die ich allen zugesichert hatte, die mir damals geheime
Dokumente zugespielt hatten. Allerdings gab es ein Problem: Es musste ein
erster Kontakt hergestellt werden. Der Informant wählte zu diesem Zweck den
kompliziertesten, aber wohl sichersten Weg: einen Weg fernab der Welt der
Medien. Ein direkter telefonischer oder schriftlicher Kontakt – auch per E-Mail – kam für ihn nicht infrage.
Im Frühjahr 2011 meldete sich ein alter Freund bei mir, von dem ich
seit Langem nichts mehr gehört habe. In seiner eigenen Arbeit hat er nichts mit
dem Vatikan oder den Justizbehörden zu tun, mit denen ich mich seit Jahren
beschäftige. Er fragt mich, ob wir uns in Mailand auf einen Kaffee treffen
könnten – ein Vorwand, um mich persönlich zu sehen, und ich gehe gern darauf
ein. Es kommt zu dem Treffen, und nach den üblichen Höflichkeiten übermittelt
er mir eine Botschaft: Ein Freund verfüge über Informationen aus dem Vatikan,
die er gern öffentlich machen wolle. Mehr sagt er nicht, und mehr wisse er
nicht. Die Geschichte scheint mir nicht sonderlich interessant. Allerdings
macht mich das Engagement meines alten Freundes neugierig, hat er mich doch
eigens in Mailand treffen wollen, um mich auf diese mögliche »Quelle«
aufmerksam zu machen. So scheint es jedenfalls. Ich lächele und sage ihm, er
könne gern meine Handynummer weitergeben. Das ist der Anknüpfungspunkt. Der
»Kontakt« – nennen wir ihn so, da mir die Identität des Informanten gänzlich
unbekannt war – ruft mich unter Angabe eines Phantasienamens an.
Von Mailand aus nehme ich den Zug. Diesmal bin ich in Rom in einer
Bar in der Nähe der Piazza Mazzini verabredet. Hier geschieht etwas Seltsames.
Am Treffpunkt stellen sich mir gleich zwei Personen vor. Es sind Italiener um
die 40,
sorgfältig und schlicht gekleidet. Sie stellen mir Fragen zu meinen Interessen,
meiner Arbeitsweise, meinem professionellen Sensorium. Sie lassen sich darüber
informieren, wie ein Journalist jemanden »schützt«, der ihm geheime
Informationen zuspielt. Sie sind zuvorkommend, der Umgangston freundlich, aber
weder ihre Wortwahl noch ihr Verhalten lassen darauf schließen, dass es sich um
Kirchenmänner handelt. Im Gegenteil: Hin und wieder rutscht ihnen ein Wort
heraus, das eher auf einen Kasernenhof gehört als in eine Sakristei. Die
Überraschung besteht darin, dass sie gar nicht meine eigentlichen
Gesprächspartner sind.
Als es Zeit für einen Aperitif ist, unterhalten sich drei Männer,
die einander nicht kennen, über Belanglosigkeiten. Einer beobachtet den
anderen. Man sieht sich um. In Wirklichkeit – das wird mir erst später bewusst – sind wir bei diesem Treffen gar nicht zu dritt. Es sind noch Schutzengel da,
die ich zwar nicht sehen kann, die jedoch alles registrieren: wer da ist, wer
vorübergeht, wer anhält. Ich stehe unter Beobachtung. Eine Reihe von
Vorsichtsmaßnahmen, die deutlich zeigen, wie wichtig die Person ist, die an
mich herantreten, mit mir Kontakt aufnehmen möchte. Die Bestätigung erhalte ich
beim darauffolgenden Treffen. Wieder sind da die beiden Männer vom letzten Mal,
wieder unterhalten wir uns: nun in einer anderen Bar, einem kleinen Raum, etwas
abgelegener. Der Grund dafür wird mir ein paar Minuten später klar, als der
ältere der beiden in seine Tasche greift, mit auffälliger Geste einen vierfach
gefalteten Zettel hervorholt und ihn mir überreicht: von anonymer Hand
vollgekritzelt mit unvorstellbaren Vorwürfen gegen eine ganze Reihe geistlicher
Herren.
Mit anonymen Anschuldigungen kommt man nicht weit. Ich bedanke mich,
lehne aber ab. Es interessiert mich nicht. Sie sehen einander an und lächeln.
Ich verstehe nicht recht, sie aber lächeln sich weiter schweigend an. Sie sind
zufrieden. Es war nur ein Lockmittel, eine Probe, um zu sehen, wie ich
reagiere. Ein paar Minuten später schlagen sie mir eine Spazierfahrt im Auto
vor. Soll ich darauf eingehen? Das Risiko ist offensichtlich, meine Intuition
aber sagt mir, dass ich ihnen vertrauen kann. Ich steige ein, nehme auf den
hinteren Sitzen einer Großraumlimousine Platz, um meinen Informanten zu
treffen. Damit beginnt eine Reise, die bis heute andauert.
Das Treffen mit dem Informanten
Wir bleiben fast eine ganze Stunde im Auto sitzen, auch
wenn die Strecke, die wir zurücklegen, in Wirklichkeit nur wenige Hundert Meter
lang ist und man nur
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