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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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unerwartet. Aber ich hätte es wissen müssen.«

8
    »Auf keinen Fall die Presse, ja, ich habe verstanden.«
    Bonnies Augenbrauen zogen sich wie Gewitterwolken zusammen, sie drückte das Handy ans Ohr, als könnte sie die Stimme dort ersticken, ihr die Luft nehmen.
    »Nein, wir werden ganz verdeckt suchen, im Schneesturm sieht uns ja eh keiner. Haben Sie nicht zufällig ein erfrorenes Kind gesehen? Aber bitte kein Wort zur Presse, dass es mit einem Mann verschwand, wir wollen nicht unnötig Staub, ich meine natürlich Pulverschnee, aufwirbeln, wir sind doch ein Skiort, prämiert, das beste Skigebiet der Welt, wenn da Kinder verschwinden, werden sie nicht gesucht, sondern gefunden, sie verschwinden ja gar nicht, unser Skiresort ist nur so outstandig, so unvorstellbar groß, dass man so ein Kind leicht auf den Tausenden von Pistenkilometern aus den Augen verlieren kann.«
    Bonnies Kollege schlug ihr so dezent wie möglich gegen das Schienbein, er wusste, wenn sie Fahrt aufnahm, würde sie sich um Kopf und Kragen und ihn zu einer neuen Partnerin reden. Sie reagierte nicht auf seinen Tritt, aber sie war zumindest still. Wahrscheinlich wusch ihr der Chef den Kopf, drohte und erinnerte sich im Drohen, dass Drohen bei ihr nur eine Bedrohung für ihn, für sie alle provozierte, und eierte nun sicher, um die Härte seiner Stimme gegen eine Wiener Melange zu wechseln, schön cremig über dem schwarzen Kaffee. Bonnies Gesicht hellte sich auf, die Wolken zogen weiter, sicher versprach er ihr, was sie vehement gefordert hätte, wir wollen ja alle, dass dem Kind nichts passiert, aber noch wissen wir gar nichts, wir sollten nicht das Schlimmste annehmen, die Erfahrung, statistisch, es ist in einer Hütte, ein Jungenstreich, alles klärt sich auf, die Streif, die Hektik, und den Vater des Kindes haben wir noch nicht erreicht, eigentlich ist es zu früh für eine Suche, für eine Vermisstenmeldung, aber der Sturm, man sollte auf Nummer sicher gehen, aber die Weltpresse, Huller genügte schon, nach diesem Bilderbuchtag, der verrückte Huller, und jetzt ein verschwundenes Kind, nein, alles, was nötig ist, alle Mittel, alle Unterstützung, aber kein Fernsehen bitte, kein Radio, keine Einsatzkommandos, man kann das elegant lösen, die Hüttenwirte schauen sich um, rufen den Namen, oder an den Liften, das Liftpersonal, ach ja, die Lifte sind ja abgestellt, zu dumm, gut, die Skilehrerin, die Eltern, sich rumhören, erst mal am Telefon … Er konnte alles, was der Chef sagte, aus Bonnies Mimik lesen, sie hatte ihre Mimik perfektioniert, sie konnte ohne Worte Bände sprechen.
    Bonnie legte auf, sie hielt ihr Handy so in der Hand, als wollte sie es durch den Raum schleudern, mitten in die Party hinein, oder die Stimme ihres Bosses über die Boxen jagen, damit alle es mitanhörten.
    »Warum muss der immer wie in diesen Fernsehkrimis klingen, kannst du mir das erklären? Spielen wir hier Soko Kitzbühel, oder was? Schau mal da raus, wir kommen kaum vor die Tür, wie sollen wir da ein Kind finden, wenn wir nicht mal das Glas vor dem Gesicht sehen können oder das Brett vorm Kopf, wie du mich anschaust. Und immer schön dezent, fuck. Soll ich mich zum Telefonieren aufs Klo einsperren und flüstern, haben Sie ein Kind gesehen?«
    Bonnie hätte so weiterfluchen können, es wäre wie immer gewesen, und während sie fluchte, austeilte, hätte sie in ihrem Hirn alles ausgearbeitet, koordiniert, alles bis auf die kleinste Kleinigkeit durchdacht, abgewogen, eine Strategie entworfen, einen Einsatzplan, hätte die Arbeit verteilt und die Prioritäten fixiert. Sie brauchte das Verbalabkotzen wie andere die Musik zur Arbeit, es war eine Konzentrationshilfe, wie eine Zigarette, Zug für Zug, Wort für Wort, Beleidigung für Beleidigung, und es wurde heftiger, wenn man nicht rauchen durfte, dann qualmten ihre Sätze, dann wurde sie umso ausfälliger, damit ihr etwas einfiel.
    Aber heute war das anders. Jedes Mal, wenn sie das Wort »Kind« sagte oder hörte, spürte sie ein Phantomziehen in ihrem Bauch, schauten sie ungeborene Augen an, und sie überfiel eine ungekannte Gefühligkeit und der plötzliche Wunsch, wie eine Löwenmutter ihr Junges zu schützen vor dieser Welt da draußen, die gerade unterging.
    »Huller«, hob Bonnie an, als sie auf einem Screen die Bilder seines Sturzes sah, eine Nachrichtensendung, die sofort weggeschaltet wurde, als wäre sie nie über den Bildschirm gelaufen und nur eine Einbildung.
    Aber Schatterer hatte auch dorthin

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