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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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»Und des Sohnes«, fuhr Ödön fort, »und des Heiligen Geistes.«
    Er ließ eine kurze Pause und fixierte die aufgepumpten Pupillen des Paters. »Amen.«
    Der Pater erlangte langsam wieder die Fassung, man sah ihm an, wie er rang, wie es in ihm arbeitete, er sagen wollte: Wie kommen Sie, wie können Sie, oh mein Gott, ich habe Sie gar, aber der nach der Beichte Suchende hatte die Eingangsformel schon gesprochen, der Zug hatte den Bahnhof verlassen und er konnte nicht länger mitten auf den Gleisen stehen.
    Warum trug er diesen schwarzen Helm, ist das der Tod? Der Pater war übernächtigt, hatte nicht schlafen können, hatte sich nicht an die Höhe gewöhnen können, so nahe an Gott fand er keinen Schlaf, hatte er gewitzelt, als er unten im Dorf von Hand zu Hand und Trog zu Trog weitergereicht wurde, der Herr Pfarrer, Hochwürden, Hochwürden vertritt Hochwürden, es ist uns eine Ehre, wollen Sie nicht ein Glas Champagner, hat der liebe Gott uns nicht die Reben geschenkt, die Trauben und sie gären lassen, eine Auster, sie hat sich nicht geöffnet, nehmen Sie die andere, lieben Sie Mehlspeisen?
    Er hatte in der ersten Woche zwei Kilo zugenommen und hoffte, sie auf der Piste wieder zu verlieren. An Zeit mangelte es ihm nicht. Bislang hatte er keine einzige Beichte abnehmen müssen. Deshalb war er so erschrocken, beruhigte sich aber und nahm fast automatisch das Ritual auf: »Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit.«
    »Wahre Erkenntnis«, wollte Ödön wiederholen, aber seine Lippen antworteten reflexartig »Amen«, obwohl seine letzte Beichte fast dreißig Jahre zurücklag. Würde ihn der Priester das nicht fragen? Wann seine letzte Beichte war, meine letzte Beichte war vor dreißig Jahren, ich war ein Schüler, ein Schüler wie mein Sohn jetzt, wie der Junge dort draußen im Schnee, hatte er seine Beichte schon abgelegt, die Feier der Versöhnung. Gott? Sind wir wieder gut, gut miteinander?
    Er hatte fast vergessen, wie das geht, beichten. Er hatte die Erniedrigung beim Beichten vergessen, das Eingesperrtsein in Dunkel und Sünde, die Isolationshaft des schlechten Gewissens, diese vorauseilende Bereitschaft, schuldig zu sein, ich bin schuldig, ich habe Schuld auf mich geladen, ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Taten, eine lässliche Sünde, es gibt keine lässlichen Sünden, ein schwerer Sünder, was für ein sündiger Mensch war ich, ein Todsünder, der Tod sühnt keine Sünden, der Tod ist die größte Sünde Gottes, rebellierte er, und schon hatte er wieder in Gedanken gesündigt, es war ein Hamsterrad, er lief und lief, war sein ganzes Leben lang gelaufen, es war alles bestens gelaufen, es lief wie geschmiert, das Glück stand Schmiere, es war alles in Butter, in trockenen Tüchern, es hätte nicht besser sein können, ein Bilderbuchleben, Frau, Kind, Haus, Sportwagen, Sardinien, Malediven, Kitzbühel, nächstes Jahr das Boot, das neue Haus am See im Rohbau, die Wiese fällt ins Wasser, Spielervermittler, es lief, sie liefen für ihn, die Zehnjährigen liefen für ihn, die Elfjährigen, die Zwölfjährigen, er musste sie durch die Pubertät bekommen, dann lief es weiter, ein Vertragsabschluss nach dem anderen, Kreuzbandrisse, Schambeinentzündungen, Achillesfersenbeschwerden, wenn einer sich das Bein brach, brach es ihm nicht den Hals, er konnte ihn nicht voll genug kriegen und der Erfolg stopfte ihn wie man eine Gänseleber stopft, nur mit dem Feinsten, seine Jungs spielten international und er hatte zwei heiße Eisen im Feuer, potentielle Weltstars, man durfte ihnen nur nicht zu viel Zucker in den Arsch blasen, sondern er musste sie vorwärtspeitschen, die Eltern ruhigstellen mit Koffern voll Geld, vertrauen Sie mir Ihren Sohn an, ich bring ihn groß raus, bald ist er in jeder Playstation, und die Jungs kaufen ihn ein und wollen sein wie er, er ist ja noch ein Kind, ja, aber sie denken an Messi, dem gaben sie auch Hormone, Wachstumshormone, der Zwerg, ihr kleiner Zwerg, ich mache einen Riesen aus ihm, einen Giganten, er wird bei den Giganten spielen, ich mache ihn zu einem Galaktischen, hier unterschreiben, es sind die Gladiatoren unserer Zeit, kein Wort zur Presse, keine Vertragsgespräche mit dem Verein ohne mich, alles lief und lief weiter und er war nur noch auf den Flughäfen, nur noch auf den Bolzplätzen, in den Hinterhöfen, in den Soccerfive-Käfigen, auf jedem Kontinent, und schüttelte Hände und ließ Geld in Taschen

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