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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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    »Ich musste auch an ihn denken. Kannst du dich an Brian Stemmle erinnern?!«
    »Den Kanadier? Aber ich …«
    »Ja, der Kanadier, der sich fast zu Tode stürzte auf der Streif. `89, glaube ich. An der Steilhang-Ausfahrt. Er hat sich am Sicherheitsnetz verfangen. Obwohl die Trainer vor dem Rennen die Funktionstüchtigkeit der Sicherheitsnetze beanstandet hatten. Darmriss, Beckenbruch. Übel zugerichtet, fast auf der Piste verreckt. Er schwebte tagelang in Lebensgefahr.«
    »Dann waren doch alle zufrieden, oder?«, unterbrach ihn Bonnie. »Bestens für den Tourismus, das gefährlichste Rennen der Welt. Sogar mit Todesgefahr. Todesmutige Fahrer. Ist doch für alle ein Gewinn.«
    »Leck mich am Arsch mit deiner Zynik, Bonnie. Der Huller, ich glaub, der Stemmle war sein Vorbild, der wollte ihn nachahmen. Der hat auch das Organisationskomitee nach seinem Sturz verklagt, aber ist gescheitert. Oder er wollte es zumindest und sie haben ihn davon abgebracht. Aber was noch viel wichtiger ist, das musst du dir geben! Der Stemmle ist fünf Jahre später wieder auf die Streif, Comeback. Ist 45 geworden, aber egal. Crazy Cannuks. Der ist da wieder runter. Als würdest du dich noch mal anschießen lassen, noch mal in die Kugel laufen. Den Huller haben sie nicht noch mal rangelassen, wegen seiner Verletzung. Aber er wollte es wie der Stemmle allen zeigen. Dass die Streif ihn nicht geschlagen hat, dass sie ihn nicht besiegt hat, dass er nicht der Verlierer ist, für den ihn alle halten. Er hat wie ein Irrer weitertrainiert, ein medizinisches Wunder, nein, sie haben ihm gesagt, in zwei, drei Jahren, wenn er nicht aufhört, sitzt er im Rollstuhl oder läuft an Krücken oder sie versteifen sein Bein, was weiß ich. Es war ihm egal. Er ist dann einfach runter. Und jetzt saufen alle Champagner und er liegt im Koma.«
    »Im Koma, weißt du das sicher?«
    »Ja, ich hab es vorhin gehört.«
    »Scheiße, dann können wir ihn nicht …«, Bonnie stockte, ein panisches Flackern durchzuckte ihre Pupillen.
    »Was können wir nicht?«, wollte Schatterer wissen, der ahnte, dass so jeder Ärger anfing, den Bonnie ihnen einbrockte.
    »Der Huller, es gab doch Gerüchte …«
    »Dieser Dreck«, unterbrach Schatterer, »hör auf damit, der stirbt vielleicht gerade und du wärmst diesen Dreck auf, deshalb hatte er das doch vielleicht gemacht!«
    »Eben, weil er sich den Jungen geholt hat. Weil er es nicht mehr aushielt. Weil er Schuldgefühle hatte, weil er zu weit ging. Weil er sterben wollte. Auf seine Art sterben. Die Illusion, das wäre die einzige Art, würdevoll zu sterben. Das war kein Unfall, das war ein Selbstmordversuch.«
    Bonnie wurde schlecht. Sie hielt sich den Bauch. »Und der Junge ist dort irgendwo draußen, vielleicht schon tot, oder nur eingesperrt oder gefesselt, oder was weiß ich. Und wir müssen rausfinden, wo er ist. Sie müssen ihn aus dem künstlichen Koma holen, damit er uns sagt, wo er den Jungen versteckt hat!«
    »Du spinnst, du widerst mich an! Solche Verleumdungen haben sein Leben zerstört, haben ihn kaputt gemacht, das war, das ist nichts als Rufmord!« Schatterer musste sich beherrschen, um nicht zu schreien, sie war zu weit gegangen, sie ging zu weit. Sie kannte keine Grenzen. Hatte sie irgendeine Intuition, war alles zu spät, dann lief sie Amok, vorsätzlich, dann konnte es nur durch die Mauer gehen. Und jeder Widerstand war für sie nur der Beweis, dass sie recht hatte. Und wenn alle sie für verrückt erklärten, erklärte sie alle für verrückt, für blind, inkompetent. Und das Schlimme war, meistens hatte sie recht, sie bekam nicht immer ihr Recht, aber sie hatte recht, hatte den richtigen Riecher gehabt, ihr Bauchgefühl war treffsicherer als das der meisten Profiler. Aber hier wehrte sich alles in Schatterer, ihr zu glauben.
    »Vielleicht«, legte sie überraschend den Arm um ihn, »vielleicht habe ich Unrecht und wir riskieren das Leben des Jungen. Wir müssen allem nachgehen, alles versuchen und hoffen, dass nichts ist, auch wenn ich es nicht glauben kann, frag nicht, warum. Mir ist schlecht vor Angst. Ich muss ins Sonnbühel. Ich muss die Mutter sehen. Wir werden das nur über die Mutter verstehen.«
    Schatterer sah sie mit offenem Mund an. Sie verstand es immer wieder, ihn aus der Fassung zu bringen. »Wie willst du durch diesen Sturm zum Sonnbühel kommen? Wir müssen abwarten.«
    »Wir haben keine Zeit. Du bleibst hier, du kümmerst dich um alles hier, um Huller, um den Vater, wenn er hier

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