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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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Qualitätsprüfer mit freundlichen Augen, der in diesem Moment vermutlich in seinem Büro sitzt und im Geiste ein paar witzige Sprüche durchprobiert. Ich hasse Internetdating.
    »Warum trefft ihr euch so spät?«
    »Ich habe ihm gesagt, dass ich vermutlich länger im Büro aufgehalten werde.«
    »Oder liegt es daran, dass er aussieht wie ein Sprössling von Mr. Baxter?«
    »Das stimmt nicht!«
    Mr. Baxter war unser pummeliger gutmütiger Geschichtslehrer, dessen schweißfeuchte Hände immer einen Abdruck auf deinem Aufsatz hinterließen, wenn er ihn zurückgab.
    »Sieh dir doch diese Wangen an. Der hat mit Sicherheit was von einem bulimischen Hamster.«
    »Sei nicht so gemein!«, sage ich und betrachte kritisch sein Foto. Gut aussehend ist er nicht gerade, das stimmt, aber sein Blick hat was Verlässliches, und dass sein Profil sich nicht wie die Einkaufsliste nicht verhandelbarer Attribute eines Psychos las, hat mich für ihn eingenommen – anscheinend ist er ein richtiger Mensch. Anscheinend.
    »Ich will damit ja nur sagen, Livvy, ich glaube nicht, dass wir den Richtigen gefunden haben.«
    Eine halbe Stunde später verließ ich das Haus, nachdem ich schuldbewusst meine Verabredung abgesagt und mich dann unerklärlicherweise bereiterklärt hatte, zum Spirituosenladen zu gehen. Als ich das Ende der Straße erreicht hatte, rief James mich an.
    »Ich weiß, ich weiß. Ich kaufe schon keinen billigen Fusel, nur weil er im Angebot ist.«
    »Du musst nach Hause kommen, Livvy.«
    »Ich bin doch nur fünf Minuten weg.«
    »Es ist mein Ernst. Kehr sofort um«, sagte er, und seine Stimme bebte. So hörte James sich sonst nie an.
    »Was ist denn?« Wie eisige Regentropfen an der Fensterscheibe perlte die Angst über meinen Rücken. »Sag’s mir.«
    »Dann sage ich es dir einfach«, erwiderte er und gab sich einen Ruck. »Sally ist tot.«
    Oktober 1995
    Mein erster Tag in Leeds war einer jener seltenen kräftezehrenden Anlässe, wo es mir nicht gelang, meine Mum und meinen Dad voneinander fernzuhalten – beide waren entschlossen, mich ins Erwachsenenleben zu entlassen, und es wäre zu grausam gewesen, einem von beiden den Vorzug zu geben. Wir quetschten meine Sachen in den Kofferraum des braunen Volvos meines Vaters (ein Fahrzeug, das, wie ich wusste, die Verkörperung dessen war, warum meine Mutter ihn verließ: sie fuhr inzwischen einen kleinen flotten japanischen Wagen), quetschten anschließend uns selbst hinein, bereit zu vier langen Stunden voller Anspannung.
    »Würde es dir was ausmachen, das Fenster einen Spaltbreit zu öffnen, Jeremy?«
    »Es wäre mir lieber, du würdest es nicht tun, wenn du nichts dagegen hast, denn dann funktioniert die Klimaanlage nicht mehr richtig.« Übersetzung: Du bist verantwortungslos und launisch, wie du das schon immer warst.
    »Mir ist es aber wichtig, atmen zu können.«
    Übersetzung: Du hast mich die letzten fünfundzwanzig Jahre lang mit deiner Prinzipienreiterei erstickt.
    Ich saß auf der Rückbank, und mir war aus so vielen Gründen übel, dass ich den eigentlichen Grund gar nicht mehr hätte benennen können – es dürfte wohl die Familienpackung Maltesers gewesen sein, die ich ganz allein verputzt habe, weil das Risiko, sie herumzureichen, ironischerweise zu groß gewesen wäre. Als wir uns immer weiter weg von meinem Zuhause bewegten, wurde mir vor Angst immer mulmiger zumute, und mir wurde langsam klar, dass ich bald Hunderte von Kilometern von allem, was mir vertraut war, entfernt sein würde. Und damit war nicht nur gemeint, dass ich meine Familie nicht mehr ständig um mich hatte, sondern auch die Vorstellung, von James getrennt zu sein. In den vergangenen Jahren hatten er und ich alles gemeinsam gemacht – alles außer der Sache, die ich mir am meisten wünschte –, und jetzt war er auf der Universität von East Anglia am anderen Ende des Landes, wo die Mädchen um seine Aufmerksamkeit wetteiferten. Dieser Gedanke war kaum auszuhalten.
    Aber es war meine eigene Entscheidung gewesen, so weit in den Norden zu gehen: In diesem Alter wusste ich kaum Bescheid über mich, doch wenn ich eins wusste, dann, dass ich klug war, und dadurch hatte ich mehrere Optionen. Ich leugnete etwas, das ein anderer Teil von mir intuitiv erfasst hatte, nämlich dass ich meinen Platz in der Welt für mich finden musste, weit weg von allem, was mich im Augenblick bestimmte.
    Eine gefühlte Ewigkeit später parkten wir endlich den Wagen. Dad hievte geschickt mein Gepäck aus dem Kofferraum,

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