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Seitensprung ins Glück

Titel: Seitensprung ins Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary E Mitchell
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Marcie. »Wir sind in zwei Stunden wieder zu Hause.«
    Zu Hause . Ist Pulkowskis Heim in Mickeys Augen jetzt sein Zuhause? Hat Helen ihn adoptiert, während ich fort war? Einerlei. Beim Klang seiner Worte steigt ein Gefühl der Wärme in mir hoch.
    »Zeigst du mir endlich deine Wohnung?«, frage ich.
    »Nein.«
    Ich reibe mir die Augen, kämpfe gegen die Verwirrung und die Müdigkeit an. »Verrätst du mir, wohin wir fahren?«
    »Wusstest du, dass ich eine autistische Cousine habe?«, fragt Mickey und überhört meine Frage. Vor dem Fenster flitzen Meilenpfosten und Ausfahrten vorbei. »Meine Familie hat da ein Sommerhaus in Connecticut, nicht weit weg von Stockbridge in Massachusetts. Es liegt an einem See in den Berkshires. Wir Kinder haben da im Sommer immer gespielt, während die Großen auf der Veranda Martinis gekippt haben.«
    Mickey schwenkt auf die Ausfahrt nach Clearview, und jetzt fahren wir über die Memory Lane auf eine Brücke zu.
    »War Dukey der Hund des Hauses?«, frage ich.
    Er lächelt. »Sein vollständiger Name war Duke of Edinburgh, der Dritte, Herzog von Edinburgh also, und er war der Sohn zweier preisgekrönter Rassehunde.«
    »Du hast deinen Boxer tatsächlich nach Prinz Charles benannt?«
    »Prinz Charles ist ein Prinz, und der Herzog von Edinburgh ist ein Herzog «, erklärt er. »Aber egal«, fährt er fort und wechselt auf die Spur der Throgs Neck Bridge, die für Leute mit der entsprechenden Vignette reserviert ist. »Meine Cousine Amelia war jeden Sommer da. Sie war eine hübsche kleine Rothaarige, noch jünger als dein Metzgerfreund hier.«
    Unter uns ist der Klang von Long Island zu hören, als wir die Brücke überqueren. Die blendende Wintersonne akzentuiert alle Konturen in einer Schärfe, die meinen Augen wehtut. Ich versuche, in Gedanken Mickeys Geschichte zu folgen, doch plötzlich erkenne ich, dass ich auf derselben Brücke bin wie letzte Nacht, als ich Hals über Kopf von Cape Cod aufgebrochen bin, um bei Pulkowski sein zu können.
    »Mickey«, sage ich erneut, »wohin fahren wir?«
    »Nur Geduld, Babe«, sagt er und tätschelt mein Knie.
    Babe? Soll das heißen, er hat mein Liebesgeständnis auf dem Parkplatz des King Kullen angenommen? Soll das heißen, unsere Auszeit ist vorbei? Oder überschreiten wir einfach nur die Zeitschwelle auf der Schnellstraße 95 Richtung Norden?
    »Wahrscheinlich kennst du all diese Rituale, die autistische Kinder brauchen«, sagt Mickey und kommt wieder auf seine völlig aus dem Zusammenhang gelöste Erzählung zurück. »Das Tätscheln, die Wiederholungen und all dieser Kram. Manchmal sehe ich das auch bei Milton. Hast du ihn jemals dabei beobachtet, wie er die Streichkäse-Packungen in der Kühltheke alle gleich ausrichtet? Das macht er jedes Mal, wenn er daran vorbeikommt.«
    »Wie geht es Milton eigentlich?«, frage ich, weil mir sein Unfall und unser aufgeregtes Telefonat einfallen. Ist das wirklich erst zwei Tage her?
    »Gut«, sagt Mickey. »Er wollte eigentlich heute wieder arbeiten, aber ich hab ihm gesagt, er soll noch ein paar Tage freinehmen.«
    Das ist typisch Mickey. So fürsorglich. So aufmerksam.
    »Wie dem auch sei«, sagt Mickey, »ich habe sehr an meiner kleinen Cousine gehangen. Sie war hübsch, und sie hatte kleine Grübchen, wenn sie lächelte.« Stirnrunzelnd starrt Mickey durch die Windschutzscheibe. »Dabei ging man damals alles andere als liebevoll mit autistischen Kindern um. Ihre Familie folgte streng einem Erziehungsplan, bei dem Amelia immer auf die Hände geschlagen wurde und sie ihr Gesicht packten, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.«
    Bei der Erinnerung daran scheint Mickeys Miene sich zu verhärten. »Ich habe immer versucht, sie heimlich aus dem Haus und auf die Veranda oder den Rasen zu holen, wo ich sie ein wenig beschützen und ihr einfach ein bisschen, du weißt schon, zusehen konnte.« Er atmet scharf aus, als wir die Spur wechseln. »Wenn man einfach nur eine Weile mit ihr in ihrer kleinen Welt saß, dann fing sie an, einem den Kopf zu tätscheln und zu lächeln, genau genommen lächelte sie einen dann sogar an .«
    Die Räder surren, es ist still im Auto, und ich bin erstaunt, Tränen in Mickeys Augen zu sehen. Wie kann ein Bursche, der als Erwachsener Tierkadaver zerteilte, von ein paar Klapsen so berührt gewesen sein? Jetzt beugt Mickey sich zu mir und küsst mich auf die Wange. Dabei rammt er fast einen blauen Mini Cooper. »Vorsicht!«, jaule ich. Er reißt das Lenkrad herum, küsst mich aber noch

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