Seitenwechsel
Aber nur, weil ich Angst hatte, jeden Moment in Tränen auszubrechen. Ich rettete mich in meinen Wagen. Dann verschwamm alles vor meinen Augen.
Don’t shit where you eat
»Nein?!«
»Doch!«
»Scheiße.«
Tinas Blick fiel auf meine vollgestopften Taschen und den Koffer, als sie mir spätabends die Tür öffnete. Ich hatte mehr eingepackt als nötig. Aber ich war zu durcheinander gewesen, um mir Gedanken darüber zu machen, was ich überhaupt brauchte.
»Ich hatte so gehofft, das hätten wir endlich hinter uns, Schätzchen.«
»Frag mich mal.«
Es war nicht das erste Mal, dass ich vollbeladen bei Tina Unterschlupf suchte. So lange ich zurückdenken konnte, war sie immer die erste und einzige Anlaufstelle für mich gewesen, wenn ich nicht mehr weiter wusste. Wenn wieder einmal eine Beziehung zu Bruch gegangen war. Wenn ich gehen musste, weil immer ich diejenige war, die ging. Gehen erleichterte mir den Neuanfang.
Ich ging. Tina gab mir ein Dach über den Kopf. Ich war am Boden zerstört. Tina baute mich wieder auf. Ich hatte die Probleme. Tina die Lösungen. So war es schon immer gewesen. Und komischerweise war es auch nie anders herum. Tina hatte keine Probleme. Und wenn, dann hatte sie sie schon gelöst, bevor ich überhaupt eingreifen konnte. Wenn es in ihrer Beziehung krachte, dann war kurz danach alles nur noch besser. Und wenn es in ihrem Beauty-Salon mal nicht gut lief, hatte sie eine geniale Geschäftsidee, die alles übertrumpfte.
Sie war obenauf, während ich mich eine Etage weiter unten durchwurschtelte. Manchmal hatte ich fast den Eindruck, dass wir eine Art symbiotisches Verhältnis hatten. Alles, was in Tinas Leben perfekt lief, und das war im Grunde alles, endete bei mir früher oder später in einem Fiasko. Wo immer sie Erfolge verbuchen konnte, musste ich Verluste hinnehmen, wahrscheinlich schon allein, um das universelle Gleichgewicht wiederherzustellen. So gesehen hatten Tim und ich nie eine Chance gehabt, denn Tinas Ehe mit Aygün war bombenfest. Und wahrscheinlich war ich auch nur deswegen jetzt wieder ohne Zuhause, weil Tina sich soeben von ihrem Ersparten ein eigenes kleines Reihenhäuschen mitten in Ehrenfeld gekauft hatte. Vielleicht wäre mein Leben viel besser verlaufen, wenn ich Tina damals im Kindergarten nicht kennengelernt hätte. Vielleicht hatte sie aber auch einfach nur Glück und ich Pech. Es war reine Spekulation. Tatsache war, dass Tina immer für mich da war. Auch jetzt.
»Was ist passiert?«, fragte sie, während sie mir half, die Taschen reinzutragen.
»Klassenfahrt.«
»Nee, ne? Doch nicht Tim?«
Der Vorteil an unserem symbiotischen Verhältnis war, dass sie mich ohne viel Worte verstand.
»O doch! Mit der Französischlehrerin«, presste ich hervor, denn mein Koffer war wirklich verdammt schwer geworden.
Tina ließ die Taschen fallen und nahm mich wortlos in den Arm. Aber ich konnte nicht mehr weinen. Ich hatte mein komplettes Kontingent an Tränen schon in der Mittagspause vergossen und war danach wie ausgepresst zurück in die Redaktion gefahren. Ich hatte nur das Nötigste erledigt und war froh gewesen, dass mein Chef den ganzen Nachmittag über einen Termin außer Haus hatte.
»Und was ist mit Kai?«, fragte Tina vorsichtig.
Ich schüttelte nur stumm den Kopf. Tim hatte Wort gehalten und war mit Kai zum Spielplatz gegangen, während ich meine Taschen gepackt hatte. Er hatte Kai erklärt, dass ich überraschend für ein paar Tage verreisen musste, was unser Sohn schon von mir kannte. Ich war froh und traurig zugleich gewesen, dass ich ihn heute nicht mehr sehen würde. Tina half mir, meine Sachen unter das Dach zu tragen. Ihr Haus war noch eine halbe Baustelle. Sie hatte es für einen guten Preis bekommen, aber dafür musste es auch von Grund auf renoviert werden. Das Dachgeschoss diente zur Zeit hauptsächlich als Abstellfläche und Müllhalde, solange die unteren Etagen fertig gemacht wurden. Aber innerhalb weniger Minuten hatten wir den gröbsten Müll beseitigt und genug Platz für eine Matratze und meine Taschen geschaffen.
»Sorry, aber hier hast du wenigstens deine Ruhe. Unten wirst du jeden Morgen um sieben von den Handwerkern geweckt.«
Ich streckte mich müde auf der Matratze aus. »Ach was, das ist perfekt.«
Tina setzte sich zu mir.
»Willst du reden?«
»Nein, noch nicht. Danke.«
»Dich betrinken?«
»Nein.«
»Das wird schon wieder, Karina. Vielleicht braucht ihr nur ein bisschen Abstand.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Abstand ist
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