Seitenwechsel
ein schlechtes Gewissen. Ich hätte mich bei ihm entschuldigen müssen oder wenigstens erklären müssen, was mich in dieser Nacht in seine Arme getrieben hatte. Aber schon beim Gedanken an ein derartiges Geständnis schoss mir das Blut ins Gesicht, und deswegen zog ich es vor zu schweigen. Tina hatte mal wieder recht behalten. Mit meinem Chef ins Bett zu gehen war so ziemlich das Dümmste gewesen, was mir in dieser Nacht hatte einfallen können. Jetzt musste Hannes nur mit irgendeinem Auftrag oder einer simplen Frage an meinen Schreibtisch kommen, und schon wurde ich rot und fing an zu stottern.
Ich ärgerte mich selbst am meisten über mein unprofessionelles Verhalten, schließlich machte Hannes es mir wirklich leicht. Aber am Ende blieb mir nichts anderes übrig, als so wenig Zeit wie möglich in der Redaktion zu verbringen.
Es war zum Verrücktwerden. Bei Tina wüteten die Handwerker, zu Tim konnte ich (noch) nicht zurück, und im Büro erinnerte mein One-Night-Stand und Chef in Personalunion mich ununterbrochen an mein schlechtes Gewissen. Ich hatte kein Zuhause. Und so meldete ich mich schließlich freiwillig, als es darum ging, für eine ziemlich langweilige Vorberichterstattung nach Österreich zu reisen. Auch wenn das bedeutete, Kai eine weitere Woche lang nicht sehen zu können. Wenigstens konnte ich so etwas Abstand zwischen mich und meine Probleme bringen.
»Dreizehn!«
»Was?«
»Dreizehn Mal hat Tim in der letzten Woche bei mir angerufen, weil er dich nicht erreichen konnte und sich irgendwie Sorgen gemacht hat, Schätzchen. Kannst du mir das vielleicht mal erklären?«
Ich hatte noch nicht einmal den Flur betreten, als Tina mir meine Probleme schon wieder unter die Nase rieb. Wie immer, wenn sie so in Fahrt war, ließ sie mir nicht einmal Zeit zum Luft holen, geschweige denn für eine Erklärung.
»Lass mich mal raten, der Empfang in den Bergen war so schlecht, dein Akku alle oder der Barkeeper im Hotel so süß, dass Tim dir inzwischen egal ist?«
Ich stellte auf Durchzug, während ich meine kleine Reisetasche die Treppen zum Dachgeschoss hochtrug. Tina lief mir hinterher.
»Ich verstehe es nicht, Karina. Tagelang heulst du mir die Ohren voll, ›warum ruft Tim nicht an, wieso meldet er sich nicht‹, und dann ruft er endlich an, und du hast nichts Besseres zu tun, als ihn abzuwürgen?«
Es stimmte. Tim hatte ausgerechnet in dem Moment angerufen, als ich mein Hotelzimmer in Österreich erreicht hatte. In dem Moment, als ich die denkbar größte Entfernung zwischen uns gebracht hatte, klingelte mein Handy. Die drei großen Lettern auf dem Display blinkten mich anklagend an. TIM. Und ich bekam kalte Füße. Was, wenn Tim sich endgültig von mir verabschieden wollte, und ich hing in einem abgelegenen Sporthotel jenseits von Gut und Böse fest und konnte ihn nicht vom Gegenteil überzeugen? Was, wenn er sich mit mir versöhnen wollte und ich nicht zu ihm konnte, um ihm bei einem romantischen Candlelight-Dinner in die Arme zu sinken? Egal, wie ich es drehte und wendete, ich hing in Österreich fest, und er war in Köln. Keine gute Ausgangslage für ein klärendes Gespräch. Ich hatte bei jedem einzelnen seiner unzähligen Anrufe mit Bauchschmerzen und trockener Kehle das Display betrachtet, mein zittriger Zeigefinger nur Millimeter von der grünen Taste entfernt. Und dann hatte ich die rote gedrückt. Jedes Mal.
»Ruf ihn an! Jetzt! Sofort!« Tina baute sich in ihrer vollen Körpergröße von einem Meter achtzig vor mir auf und setzte ihre Widerstand-zwecklos-Miene auf.
Ich stammelte: »Aber was ist, wenn …«
»Nein, kein Wenn und Aber. Jedes Mal, wenn ihr beide ein Problem habt, schaltest du auf stur. Es ist ohnehin ein Wunder, dass ihr zwei noch zusammen seid. Aber dieses Mal mache ich das nicht mit. Dieses Mal geht es nämlich nicht nur um dich und Tim und eure dämlichen Machtspiele. Es geht auch um Kai. Deswegen rufst du Tim jetzt auf der Stelle an, und ihr schafft das Problem aus der Welt, verstanden?«
»So einfach ist das nicht.«
»O doch.« Tina schnappte sich mein Handy und hatte Tims Nummer gewählt, bevor ich es ihr aus der Hand reißen konnte.
»Ach, guck mal, so einfach ist das, Tim hat sogar eine Kurzwahltaste. Die Eins.«
Ich funkelte Tina böse an und legte auf, bevor die Verbindung hergestellt war.
»Ich kann ihn nicht einfach so anrufen.«
»Und wieso nicht?«
»Weil ich … weil ich … Angst davor habe, was er sagen könnte.«
Das konnte Tina zumindest
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