Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
Rebecca Ganter, und warum starb sie auf diese Weise? Ich will alles über sie wissen. Wo sie aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, was sie danach gemacht hat. Hat sie schon immer als Schriftstellerin ihr Geld verdient, oder hatte sie auch andere Jobs? Wann hat sie ihren ersten Roman veröffentlicht? Ist sie jemandem im Verlag auf die Füße getreten, oder wurde womöglich mal jemand ihretwegen gefeuert? Wo hat sie eingekauft, Sport getrieben, welche Freunde oder sozialen Kontakte hatte sie? Timo! Du beschäftigst dich mit dem oder den Tätern! Hatte es jemand speziell auf sie abgesehen, oder kam ihnen nur die abgelegene Wohnsituation zupass? Wo könnten sich Täter und Opfer begegnet sein? Und Rolf!«
Kramer hob den Kopf. »Ja?«
»Du bleibst an der Sache mit den Münchener Kollegen dran. Wir brauchen so schnell wie möglich die schriftlichen Vernehmungsprotokolle.«
»Alles klar.«
Cornelsen schob die Fotos beiseite. »Ich werde noch mal zum Haus fahren und den Tatort auf mich wirken lassen. Meldet euch sofort, wenn sich was tun sollte. Timo, informierst du den Staatsanwalt?«
Breitenbach nickte, und alle erhoben sich von ihren Stühlen.
»Dann wollen wir doch mal herausfinden, wer eine solche Scheißwut auf Rebecca Ganter hatte«, sagte Sarah mehr zu sich selbst als zu den anderen.
x x x
Kerstin lauschte. Ein Schrei hatte sie hochschrecken lassen, und sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Ihr Körper schien vor ihrem Verstand zu realisieren, wo sie sich befand. Ihr Blick fiel auf den grauen Faltenrock und die altrosa Spitzenbluse, beides fein säuberlich von ihr auf einen Bügel gehängt. Vorgestern hatte sie den Fehler begangen, die Sachen nicht sofort wieder auszuziehen, in der von ihm geforderten Form über den Bügel zu legen und am Haken zu befestigen. Die Striemen, die die Peitsche auf ihrem Rücken hinterlassen hatte, schmerzten nicht mehr so stark wie noch am Vortag. Doch auf den Rücken konnte sie sich noch nicht wieder legen. Vielleicht übermorgen, wenn ihr kein weiterer Fehler unterlief. Übermorgen, ging ihr der Gedanke noch einmal durch den Sinn. Weitere zwei Tage. Und wie viele würden danach noch folgen? Wann würde sie dieser Hölle hier wieder entfliehen können? Würde es ihr überhaupt gelingen? Das Bild ihres Mannes tauchte vor ihrem inneren Auge auf, und unwillkürlich legte sie die rechte Hand auf ihren Bauch. Wie überglücklich war Torsten gewesen, als sie es ihm gesagt hatte. Er hatte sie von der Arbeit abgeholt, weil sie sich die neuen Badezimmermöbel hatten aussuchen wollen. Am Vormittag hatte sie den Termin bei ihrem Gynäkologen gehabt, und es hatte sie ihre ganze Willenskraft gekostet, Torsten nicht sofort danach anzurufen. Sie hatte unbedingt seine Augen sehen wollen, wenn sie ihm sagen würde, dass er Vater wurde. Diesen Moment wollte sie für immer in ihrem Herzen bewahren. Sie waren gemeinsam die Straße entlanggegangen, und ganz beiläufig hatte sie Torsten gesagt, ihn mit jemandem bekannt machen zu wollen. Kerstin lächelte bei der Erinnerung an seinen verwirrten Gesichtsausdruck. Sie hatte seine Hand genommen, sie an ihren Bauch gepresst und gesagt, dass sie ihm sein Kind vorstellen wolle. Torsten hatte noch einen Augenblick gebraucht, dann einen Jubelschrei ausgestoßen, sie genommen, hochgehoben und im Kreis gedreht. Wie ausgelassen sie gewesen waren. Sie hatten sich gedrückt und immer wieder umarmt, und es schien ihr, als wolle Torsten sie gar nicht mehr loslassen. Torsten! Wie es ihm wohl ging? Was er dachte? Suchte er nach ihr? Glaubte er, dass sie tot sei? Tränen traten ihr in die Augen. Würde sie ihren Mann je wiedersehen? Und das Ungeborene in ihrem Leib. Würde es je auch nur einen Atemzug tun? Sie wischte die Tränen von ihren Wangen und befühlte vorsichtig ihren Hals. Wenigstens hatte er ihr gestern den schmiedeeisernen Ring entfernt, so dass sie nicht mehr angekettet war. Sie wollte auf keinen Fall riskieren, ihn wieder umgelegt zu bekommen. Noch einmal befühlte sie vorsichtig ihre Haut, dort, wo das Metall schmerzende Wunden hinterlassen hatte. Nein! Sie würde sich ruhig verhalten und alles tun, um keine weiteren Verletzungen zu riskieren.
Die Geräusche vor ihrer Zelle entfernten sich, Schritte hallten nach, das Schluchzen und Flehen der Frau wurde leiser. Kerstin wusste, was ihr jetzt bevorstand. Die Kamera, seine Forderungen, das widerliche Stöhnen. Kurz überlegte sie, ob sie irgendetwas tun, vielleicht einen Hinweis geben
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