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Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)

Titel: Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raphael M. Bonelli
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vielleicht etwas dagegen tun zu können, schon eine Beleidigung ist.« Fremdbeschuldigung ist tatsächlich eine effektive Methode, um sich vom Täter zum Opfer umzudeuten und die eigene Schuld mindestens auf die Umstände (»Ich konnte nicht anders«), besser noch auf andere Personen abzuwälzen. Klassischerweise auf die Erziehungsfehler der Eltern, das hat sich bewährt.
    Durch das Dogma der eigenen Fehlerlosigkeit, das beim Opfer auf keinen Fall in Frage gestellt werden darf, entwickelt sich fast automatisch eine Dynamik der reflexartigen Fremdbeschuldigung. Diesen unbewussten Komplex – »Ich kann nicht schuld sein, also muss es jemand anderer sein« – kann der intelligente Mensch nur mit mühsamer Anstrengung in kontinuierlichem Selbstbetrug durchhalten. Aber er schafft es! In der psychoanalytischen Terminologie nennt man diese Anstrengung »Verdrängung«.
    Der fehlerlose Franz Moor
    In der Literatur finden wir einen Patienten, der die im vorigen Kapitel formulierten Persönlichkeitsmerkmale auf glückliche Weise in sich vereint: Franz Moor, eine Hauptperson in Schillers Schauspiel »Die Räuber«. Als Psychodiagnostiker sehen wir schnell: Franz hat eine Selbstwertproblematik. Er ist grundverschieden von seinem oberflächlichen älteren Bruder Karl, dem die Welt unverständlicherweise zu Füßen liegt. Obwohl dieser Karl eigentlich einer ist, der von Jugend an »den Mädels so nachschlenderte«, sich »auf Wiesen und Bergen herumhetzte«, »den Anblick der Kirche floh« und »die Abenteuer des Julius Cäsar und Alexander Magnus lieber las als die Geschichte des bußfertigen Tobias«. Der Bruder führt dann als Student in Leipzig ein leichtsinniges und ungezügeltes Studentenleben und verstrickt sich in Schulden. Kurz, Karl frönt einer »schändlichen« Lebensweise. Unser Patient Franz, dem unser Interesse und unsere therapeutische Empathie gelten, erlebt sich im Gegensatz zu seinem Bruder als jemand, der sich stets »daheim mit frommen Gebeten und heiligen Predigtbüchern« erbaute. Trotzdem ist er unbeliebt. Er hat von Jugend an einen tadellosen und fehlerfreien Lebenswandel vorzuweisen, optimale Voraussetzungen für die Psychotherapie also. Franz Moor ist das Opfer seines melancholischen Temperaments.
    Wir Therapeuten können aber natürlich schnell erkennen, dass es hier nicht nur um den Gegensatz zwischen der Leichtigkeit eines sanguinischen, extravertierten Temperaments und der Schwere des melancholischen, introvertierten jüngeren Bruders geht. Nein, Franz wird trotz seiner Rechtschaffenheit ständig – allein durch die Existenz des charismatischen Bruders – gekränkt, gedemütigt und traumatisiert. Wahrscheinlich, weil unser Patient sich wegen seiner anerzogenen Gutmütigkeit nicht wehren kann. Ja, er schluckt immer nur, und immer nur schlucken ist bekanntlich extrem ungesund. Franz Moor ist das Opfer seiner Gutmütigkeit.
    Sogar die Rechtsordnung ist gegen unseren Patienten: Als Zweitgeborener hat Franz keinerlei Ansprüche auf einen Erbteil und ist selbst als Erwachsener nicht allein rechtsfähig, sondern untersteht dem Vater! Franz Moor ist also zudem das Opfer der Geschwisterfolge.
    Nach sorgfältiger Anamnese finden sich noch mehr seelische Misshandlungen im Leben unseres Patienten: Der Vater, Graf Maximilian von Moor, bevorzugt den älteren Bruder und Erben bei jeder Gelegenheit und verstärkt damit das negative Selbstbild des jüngeren Sohnes. Genau in dieser Verhaltensweise des Vaters sehen wir Experten natürlich die Ursache der Persönlichkeitsentwicklung des Franziskus Moor. Trotz all seiner frechen Verfehlungen repräsentiert der ältere Karl des Vaters »goldene Träume«, während Franz, trotz seiner unendlichen Bemühungen, dem Vater zu gefallen, von diesem abgewertet wird. Väterliche Missachtung hinterlässt lebenslange Narben. So ist von dem »trocknen Alltagsmenschen« sowie dem »kalten, hölzernen Franz« die Rede. Dieser väterliche Liebesentzug, die Abweisung, ja Verachtung fördert die subjektive Bedrohung des Jüngeren. Der frühe Tod der Mutter tut das Übrige. Franz erlebt sich selbst als in die Ecke gestellt, in die Enge getrieben, ausgeschlossen, seinen älteren Bruder hingegen als das »Schoßkind« des Vaters. Unser Patient ist aufgrund des emotionalen Missbrauchs durch den Vater ein zutiefst einsamer und verbitterter Mensch geworden. Franz Moor ist das Opfer seines abweisenden Vaters und seiner früh verstorbenen Mutter.
    Aus dieser traumatisierenden Kindheit

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