Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Schuldiger, ein Sündenbock! Das entspricht einerseits dem menschlichen Kausalitätsbedürfnis, das vom Schatten auf Licht, vom eigenen Opferstatus auf einen fremden Täter rückschließt. Andererseits bleibt die verdrängte Schuld spürbar. Wir können sie nicht einfach wegmachen. Je lauter aber ein anderer bezichtigt wird, umso mehr wird das eigene Gewissen ausgedämpft und mundtot gemacht. Das ist eine direkte Folge dessen, dass Schuld als solche wahrgenommen wird – und je mehr Schuld da ist, desto lauter muss auch die Beschuldigung sein. Wenn man die Schuld nicht auf sich selber nehmen kann, dann ist die Fremdbeschuldigung ein fast notwendiges Ventil.
FALL 14: Susanne K, 42 Jahre alt und 140 kg schwer, analysiert den Grund ihrer Körperfülle folgendermaßen: »Vielleicht esse ich etwas zu viel. Aber die Krankheit … Ich habe gelesen, seelische Probleme und Konflikte, die nicht aufgearbeitet sind, da isst man dann immer mehr. Das Seelische ist schuld, dass ich zugenommen habe. Wissen Sie, ich faste wirklich. Na ja, ich habe auch gesündigt: Schokolade, Zuckerl … Ich esse aber wirklich nicht viel.« Im weiteren Gespräch meint die Patientin: »Ich gebe auch meiner Familie Schuld an der Krankheit.« Frau K. wartet weiter darauf, dass sich die Bikinifigur einstellt.
ANALYSE: Solange die Krankheit schuld ist, wird sich das Gewicht nicht ändern – außer die Krankheit entschließt sich zum Fasten.
In den neueren Entwicklungen der Psychoanalyse ist der Mechanismus der Fremdbeschuldigung bekannt. Die »Schuldzuweisung« gilt dort in der Zwischenzeit schon als häufigster Mechanismus der Abwehr von Schuldbewusstsein.
Der Analytiker Mathias Hirsch zitiert in seinem Standardwerk über die Psychoanalyse der Schuld aus dem Jahr 2012 sogar die Bibel: »Schon die allererste Schuld wurde abzuschieben versucht. Adam: ›Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß.‹ Und Eva: ›Die Schlange betrog mich also, dass ich aß.‹ Adam schiebt es auf Eva, diese auf die Schlange: schuld ist immer der andere, letztlich Gott, da er die Schlange geschaffen hat. Das entspricht dem Ausweichen vor der Schuld durch den Hinweis auf das Mensch-Sein. Alle Kinder weisen Schuld von sich: ›Ich war es aber nicht.‹ Es war das Geschwister. Die Deutschen nach dem Nazi-Regime: ›Ich bin’s nicht, Adolf Hitler ist es gewesen.‹ Man könnte diesen gängigsten Schuldabwehrmechanismus projektive Verschiebung nennen, man schiebt die Schuld jemandem zu und projiziert einen Teil von sich auf ihn, zum Beispiel Angst, Aggression, Scham und Schuldbewusstsein.« Es ist erfrischend zu lesen, dass der Psychoanalytiker Hirsch – Gründungsvater Freud zum Trotz – mit einer Selbstverständlichkeit Schuld nicht zum subjektiven Schuldgefühl degradiert, sondern als Realität des Menschen annehmen kann und zudem den Mechanismus von Verdrängung und Fremdbeschuldigung beschreibt.
FALL 15: Die Deutsche Elvira K., 35 Jahre alt, ist seit fünf Jahren mit einem Österreicher (Adam) verheiratet. Um ihn auf die erste Stunde vorzubereiten, schickt sie dem Psychiater vorab eine zehnseitige E-Mail. Man vereinbart, dass der Psychiater das Schreiben vorab analysiert, damit man dann schneller vorankommt. Denn sie will in ein bis zwei Stunden eine Lösung. Hier ein Auszug aus ihrer Erinnerung:
»Mit der Ehe haben dann wirklich gravierende Probleme angefangen, die bis jetzt unlösbar geblieben sind. Seine Eltern waren gegen diese Ehe, weil sie nicht wollten, dass ihr Sohn eine Deutsche heiratet. Sie wollten, dass Adam in der Nähe seiner Familie bleibt. Schon dieser Beginn stand unter einem schlechten Stern. Meine Schwiegereltern machten bei der Hochzeit die meiste Zeit ein versteinertes, beleidigtes Gesicht. Mein Mann ist dann nach ein paar Tagen nach Wien zurückgereist, weil er in Österreich eine Arbeit gefunden hatte, und ich bin dann nach ca. einem Monat nachgekommen. Adam konnte es nicht erwarten, dass ich komme, und hat richtig Druck gemacht, dass ich mich noch mehr beeile. Ich habe die Hochzeit alleine organisiert und musste auch in Bonn alles alleine zu Ende bringen und wusste teilweise nicht, wo mir der Kopf stand. Mein Mann hat nur Druck gemacht, dass ich mich mehr beeile, und hat kein Verständnis für meine Situation gezeigt und nur kritisiert, und so sollte es bis jetzt bleiben (Druck machen, kritisieren, kein Verständnis zeigen). In Wien angekommen, musste ich erst einmal einen gewissen Kulturschock verdauen. So
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