Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Psychoanalytiker, die die Bibel zitieren (wie Mathias Hirsch), sondern auch Theologen, die über den Begriff der Verdrängung sprechen – Joseph Ratzinger: »So ist das Thema Sünde zu einem verdrängten Thema geworden, aber allenthalben zeigt sich doch auf der anderen Seite, dass es eben nur verdrängt und dennoch wahr geblieben ist. Bezeichnend scheint mir die jederzeit sprungbereit gewordene Aggressivität, die wir in unserer Gesellschaft zusehends erleben – diese immer lauernde Bereitschaft, den anderen zu beschimpfen, ihn als Schuldigen am eigenen Unglück zu erkennen, die Gesellschaft zu brandmarken und durch Gewalttätigkeit die Welt ändern zu wollen. Mir scheint, dass dies alles nur zu begreifen ist als Ausdruck für die verdrängte Wahrheit der Schuld, die der Mensch nicht wahrhaben will.«
Beschuldigung der Eltern
Die Eltern eignen sich immer gut als Sündenbock. Erstens haben alle Menschen immer Fehler, also auch Eltern, die irgendwann sicher etwas falsch gemacht haben. Zweitens kann man ihnen leicht ein schlechtes Gewissen machen, da sie meistens wirklich um ihre Kinder besorgt sind. Fast alle Eltern wollten eigentlich bessere Eltern gewesen sein, eben weil sie ihre Kinder lieben und nur das Beste für sie wollen. Deswegen ist es eine schwache Ausrede und ein billiger Reflex – der immer auch etwas Sadistisches und durchaus auch Masochistisches in sich hat – den Eltern die Schuld für die eigene Misere in die Schuhe zu schieben. Noch heute sieht man in der psychiatrischen Praxis immer wieder tiefverzweifelte Eltern, denen die gesamte Schuld an der Psychopathologie ihres Kindes gegeben wurde – und umgekehrt 50-Jährige, die tatsächlich der Überzeugung sind, dass Unterlassungssünden der Eltern vor 40 Jahren ihre Beziehungsunfähigkeit verursacht hätten. Leider sind wir Therapeuten nicht ganz unschuldig an dieser unseligen Entwicklung, weil eine Reihe von unheilvollen moralisierenden Psychotheorien vom grünen Tisch das Wesen des Menschen und des menschlichen Zusammenlebens völlig verkannt hat.
Die Analytikerin Frieda Fromm-Reichmann etwa erfand in den 50er Jahren die sogenannte schizophrenogene Mutter, die sie der »falschen« Mutterliebe bezichtigte und postwendend für die Hirnkrankheit Schizophrenie ihrer Kinder schuldig sprach. Warum nicht auch gleich für multiple Sklerose, könnte man zynisch fragen. Das wurde schnell aufgegriffen und verbreitet. Generationen von Psychotherapeuten waren in dieser Kunst der Elternbeschuldigung bewandert. Die angeblich Schizophrenie produzierende Mutter wurde als eine egozentrische Person beschrieben, die ihr Kind nach den eigenen verschrobenen Ansichten prägt, ihm keine Eigenständigkeit und keine Freiheit gewährt. Kennzeichnend sei für sie ein eklatanter Mangel an Herzlichkeit und Wärme sowie eine pedantische, überfürsorgliche, aber vordergründig äußerliche Betreuung.
Hier hört man sehr scharf ein Werturteil der Theoretikerin heraus. Aus der Erkrankung des Kindes wurde auf die »Sünde« der Mutter rückgeschlossen. Eine Katastrophe! Später hielt eine breite analytische Tradition eher den »Kommunikationsstil« der Eltern für schuldig. Damit meinte man die schizophrene Ambivalenz von Vater und Mutter, also dass ein Elternteil zum Kind eine zweideutige Sprache spricht, in der ja nicht ja und nein nicht nein bedeutet. Dadurch werde die Entwicklung zu einer eindeutigen und natürlichen Kommunikation verunmöglicht. Viele Eltern wurden durch diesen psychoanalytischen Schuldspruch in die Verzweiflung gestürzt. Nicht wenige Selbstmorde von Müttern wurden durch diese Fehleinschätzung verursacht. Tatsächlich jedoch wissen wir heute zweifelsfrei, dass Schizophrenie eine Störung des Hirnstoffwechsels und des mikroanatomischen Aufbaus des Gehirns ist, die durch Erziehung oder eigene Willensanstrengung nicht verhinderbar ist.
Aber auch der Bereich der Angst ist eine Gelegenheit zur Fremdbeschuldigung der Eltern. Wer eine Neurose hat, wurde nach dieser Denkweise einfach zu ängstlich erzogen – oder die Eltern hatten zu wenig Angst um das Kind, weswegen das Kind dann zu wenig Sicherheit gespürt hat. Wie man es dreht und wendet: zu viel oder zu wenig – ein hundertprozentig funktionierendes Erklärungsmodell: Die Eltern sind immer schuld – an der Depression, am fehlenden Uni-Erfolg, am vermasselten Führerschein, an allen gescheiterten Beziehungen und am Drogenkonsum. Mit diesen Theorien verbaut man aber dem Angstpatienten nur einen
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