Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Besonders problematisch ist, wenn »Erinnern« belohnt, »Verdrängen« hingegen emotional bestraft wird. Ein klassisches Beispiel ist, dass der Therapeut meint, bei diesen Symptomen müsse (sic!) in der Kindheit ein Missbrauch vorgefallen sein. Der Klient möge nachdenken. Falls der sich an nichts erinnert, könnte der Therapeut – wenn er schon Gefallen an seinem Erklärungsmodell gefunden hat – enttäuscht antworten, dass der Klient also weiter zu verdrängen gedenke und wen er denn damit schützen wolle. Schließlich kann sich der Klient doch ganz dunkel an einen großen Penis erinnern, und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Auffällig ist, dass manche Therapeuten bei den meisten ihrer Patienten einen Missbrauch im Hintergrund sehen – und oft vor ihren Patienten.
Gerichtspsychiater können ein Lied davon singen, was die menschliche Phantasie alles zustande bringt. Durch den Opfer-Hype mit Entschädigungsautomatik ist hier eine gefährliche Dynamik ins Rollen gekommen, die wir noch nicht ausreichend unter Kontrolle haben. Diese Entwicklung ist auch für die tatsächlichen Opfer von Verbrechen gefährlich, denn es lässt sich voraussehen, dass irgendwann die öffentliche Stimmung kippt und das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.
FALL 13: Frau Nadean Cool, eine 33-jährige Pflegehelferin im US-Bundesstaat Wisconsin, entscheidet sich 1986, eine Psychotherapie zu machen, um mit einer Traumatisierung ihrer eigenen Tochter besser umgehen zu können.
Der Therapeut meint schnell einmal, eine so heftige Reaktion auf die Traumatisierung der Tochter lasse auf eine eigene Traumatisierung schließen. Er macht sich gezielt auf die Suche, setzt unter anderem Hypnose in Kombination mit Suggestivfragen ein, um verborgene und verdrängte, vom Bewusstsein abgespaltene Ereignisse wieder erinnerlich zu machen. Tatsächlich »erinnert« sich Frau Cool im Laufe der Therapie, ermutigt durch die Fragen und das Interesse des Therapeuten, an immer mehr Details von Horrorszenarien in ihrer Kindheit. Sie sei Opfer einer satanischen Sekte gewesen. Damals sei sie unter anderem im Blut von Menschenopfern diese Sekte gewatet, habe Säuglinge verspeist und den Mord an ihrer achtjährigen Freundin mit ansehen müssen. Sie sei oftmals vergewaltigt sowie gezwungen worden, mit Tieren zu kopulieren. Schließlich glaubt sie, mehr als 120 Persönlichkeiten in sich zu haben – von Menschen, Engeln und sogar von einer Ente. Diese Persönlichkeiten, so erklärt der Therapeut, hätten sich wegen all der Missbrauchshandlungen von ihrer Ursprungspersönlichkeit abgespalten. Als Nadean Cool schließlich zur Besinnung kommt und begreift, dass diese Erinnerungen vom Therapeuten durch Suggestivfragen induziert worden sind, beendet sie die Therapie und zeigt ihn wegen Kurpfuscherei an. Im März 1997 wird das Verfahren durch einen außergerichtlichen Vergleich beendet, bei dem der Therapeut 2,4 Millionen Dollar Schadensersatz zahlen muss.
ANALYSE : Leider sind solche Fälle auch in unseren Breiten Realität: Der Therapeut induziert durch Suggestivfragen, die dessen eigenen Phantasien entsprechen, »Erinnerungen«, die der Patient, der ja in einem Abhängigkeitsverhältnis ist, unbewusst gefällig produziert. Das ist doppelt schädlich: weil Fremdbeschuldigung den Patienten zum hilflosen Opfer einer Phantasie macht, und weil ein Unschuldiger – der phantasierte Täter – einer kriminellen Tat beschuldigt wird. Familien können so auseinanderreißen, und es gibt auch Fälle, in denen am phantasierten Täter durch ein dilettantisches psychologisches Gutachten ein grober Justizirrtum passiert.
Die innere Notwendigkeit der Fremdbeschuldigung
Fritz Künkel beobachtet bei seinen ichhaften Unschuldslämmern: »Nur eine einzige Täuschung erschwert hier den Weg der Selbsterziehung und verhindert, dass die Lawine der inneren Umwälzung ins Rollen gerät. Man misst nämlich die Schuld für seine eigene Vereinsamung nicht sich selber, sondern den Mitmenschen zu.« Denn wenn man die Verantwortung an den »Täter« abgegeben hat, dann ist man nur mehr der Spielball des Schicksals und der Umstände. Dann ist man auf Gedeih und Verderb dem anderen ausgeliefert und hat keinen Handlungsspielraum mehr.
Es ist in der Tat ein interessantes Phänomen, dass die Psychodynamik der Makellosigkeit nicht damit endet, gekonnt in die Opferrolle zu schlüpfen, sich damit selbst zu exkulpieren und anschließend im Selbstmitleid zu suhlen: Nein, ein Täter muss her, ein
Weitere Kostenlose Bücher