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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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und Produktionsgeheimnissen im Computer haben, ist es gefährlich. Es ist, wie wenn mitten in der Schlacht …« Firner ist Offizier der Reserve.
    »Lassen wir die Schlachten«, unterbrach ich. »Wann wollen Sie den ersten Bericht?«
    »Ich möchte Sie darum bitten, mich ständig auf dem laufenden zu halten. Sie können über die Zeit der Herren vom Werkschutz, vom Datenschutz, vom Rechenzentrum und von der Personalabteilung, deren Berichte Sie im Dossier finden, frei verfügen. Ich muß nicht sagen, daß wir um äußerste Diskretion bitten. Frau Buchendorff, ist der Ausweis für Herrn Selb fertig?« fragte er über die Sprechanlage.
    Sie trat ein und überreichte Firner ein scheckkartengroßes Stück Plastik. Er kam um den Schreibtisch herum.
    »Wir haben Ihr Farbbild beim Betreten des Gebäudes anfertigen lassen und gleich eingeschweißt«, sagte er stolz. »Mit diesem Ausweis können Sie sich zu jeder Zeit frei auf dem Werkgelände bewegen.« Er heftete mir die Karte mit ihrem wäscheklammerähnlichen Plastikstummel ans Revers. Es war wie eine Ordensverleihung. Fast hätte ich die Hacken zusammengeschlagen.

4
Turbo fängt eine Maus
    Den Abend verbrachte ich über dem Dossier. Ein harter Brocken. Ich versuchte, in den Vorfällen eine Struktur zu erkennen, ein Leitmotiv für die Eingriffe in das System zu finden. Der oder die Täter hatten sich an der Lohnbuchhaltung zu schaffen gemacht. Sie hatten den Chefsekretärinnen, darunter Frau Buchendorff, über Monate fünfhundert Mark zuviel überweisen lassen, den Leichtlohngruppen das Feriengeld verdoppelt und alle Kontonummern von Lohn- und Gehaltsempfängern gelöscht, die mit 13 anfingen. Sie hatten sich in die interne Nachrichtenübermittlung eingemischt, vertrauliche Mitteilungen der Direktionsebene in die Presseabteilung geschleust und Jubiläen der Mitarbeiter unterdrückt, die die Abteilungsleiter zum Monatsanfang mitgeteilt bekommen. Das Programm zur Tennisplatzverteilung und -reservierung hatte alle Anfragen über den besonders begehrten Freitag bestätigt, so daß sich eines Freitags im Mai auf den 16 Tennisplätzen 108 Spieler einfanden. Dazu kam die Rhesusäffchengeschichte. Ich verstand Firners gequältes Lächeln. Der Schaden, ungefähr fünf Millionen, war für ein Unternehmen von der Größe der RCW zu verkraften. Aber wer immer ihn verursacht hatte, konnte im Management- und Betriebsinformationssystem der RCW spazieren gehen.
    Draußen wurde es dunkel. Ich machte Licht, knipste den Schalter ein paarmal an und aus, erhielt dadurch aber, obwohl es binär war, keinen tieferen Einblick in das Wesen elektronischer Datenverarbeitung. Ich überlegte, ob unter meinen Freunden und Bekannten einer etwas von Computern verstand, und merkte, wie alt ich war. Da war ein Ornithologe, ein Chirurg, ein Schachgroßmeister, der eine und andere Jurist, alles betagte Herren, denen der Computer gerade so wie mir ein Buch mit sieben Siegeln war. Ich dachte darüber nach, was für ein Typ von Mensch es ist, der mit Computern umgehen kann und mag, und über den Täter meines Falls – mir war die Vorstellung von nur einem Täter selbstverständlich geworden.
    Verspätete Schulbubenstreiche? Ein Spieler, ein Tüftler, ein Schalk, der die RCW in grandioser Weise auf den Arm nimmt? Oder ein Erpresser, ein kühler Kopf, der mit leichter Hand signalisiert, daß er auch zum großen Schlag fähig ist? Oder eine politische Aktion? Die Öffentlichkeit würde empfindlich reagieren, wenn dieses Ausmaß an Chaos in einem Betrieb, der mit hochgiftigen Stoffen umgeht, bekannt würde. Aber nein, der politische Aktionist hätte sich andere Vorfälle ausgedacht, und der Erpresser hätte schon längst zuschlagen können.
    Ich machte das Fenster zu. Der Wind hatte gedreht.
    Am nächsten Tag wollte ich als erstes mit Danckelmann reden, dem Chef des Werkschutzes. Danach hieß es, im Personalbüro die Akten der hundert Verdächtigen durchzusehen. Allerdings hatte ich wenig Hoffnung, den Spieler, den ich mir vorstellte, an seinen Personalakten zu erkennen. Beim Gedanken, hundert Verdächtige nach den Regeln der Kunst überprüfen zu müssen, packte mich das schiere Entsetzen. Ich hoffte, daß meine Beauftragung die Runde machen, Vorfälle provozieren und dadurch den Kreis der Verdächtigen einschränken würde.
    War kein doller Fall. Erst jetzt wurde mir bewußt, daß Korten mich gar nicht gefragt hatte, ob ich den Fall übernehmen wollte. Und daß ich ihm nicht gesagt hatte, ich würde mir das

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