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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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Polizist bearbeitet die Schreibmaschine hilflos und gewaltsam, sieht dabei unglücklich und verbissen aus, ist zugleich ohnmächtig und zum äußersten entschlossen – eine brisante und beängstigen-de Mischung. Und wenn man nicht zur Aussage bewo-gen wird, dann wird man jedenfalls davon abgehalten, die einmal gemachte, vom Polizisten in Form und Schrift gebrachte Aussage zu ändern, mag der Polizist sie noch so sehr verfremdet haben.
    »Angerufen hat uns jemand, der nach dem Unfall über die Brücke gefahren ist. Sein Name steht im Bericht. Als wir hinkamen, war der Arzt gerade einge-132
    troffen und zum Unfallfahrzeug hinuntergeklettert. Er sah gleich, daß nichts mehr zu tun war. Wir haben die Straße gesperrt und die Spuren gesichert. Es gab nicht viel zu sichern. Da war die Bremsspur, die zeigt, daß der Fahrer zugleich gebremst und das Steuer nach links gerissen hat. Warum er das gemacht hat, dafür gab’s keine Anhaltspunkte. Nichts hat darauf hinge-deutet, daß ein anderes Fahrzeug beteiligt war, keine Glassplitter, keine Lackspuren, keine weitere Bremsspur, nichts. Schon ein komischer Unfall, aber da hat halt der Fahrer die Herrschaft über sein Fahrzeug verloren.«
    »Wo steht das Fahrzeug?«
    »Beim Abschleppunternehmen Beisel, hinter dem
    Zweifarbenhaus. Der Sachverständige hat es untersucht, ich denke, der Beisel verschrottet es demnächst. Die Standgebühren sind schon jetzt höher als der Schrott-wert.«
    Ich bedankte mich. Ich ging bei Nägelsbach vorbei, um mich zu verabschieden.
    »Kennen Sie ›Hedda Gabler‹?« fragte er mich.
    »Wieso?«
    »Die kam gestern abend bei Karl Kraus vor, und ich habe nicht verstanden, ob sie sich ertränkt oder erschossen hat oder keines von beidem, und ob sie es am Meer oder in einer Weinlaube getan hat. Manchmal schreibt der Karl Kraus schon schwer.«
    »Ich weiß nur noch, daß es eine Heldin von Ibsen ist.
    Lassen Sie sich das Stück doch als nächstes vorlesen.
    Karl Kraus kann man gut unterbrechen.«
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    »Ich will mit meiner Frau reden. Es wäre das erste Mal, daß wir unterbrechen.«
    Dann fuhr ich zu Beisel. Er war nicht da, ein Arbeiter von ihm zeigte mir das Wrack.
    »Wissen Sie, was mit dem Auto wird? Sind Sie Ver-wandtschaft?«
    »Ich denke, es soll verschrottet werden.« Von rechts hinten betrachtet, hätte man es fast für unversehrt halten können. Das Verdeck war beim Unfall nach hinten zusammengefaltet gewesen und vom Abschleppunternehmen oder vom Sachverständigen wegen des Regens hochgeklappt worden; es war heil. Links war das Auto vorne völlig eingedrückt und seitlich aufgerissen. Achse und Motorblock waren nach rechts versetzt, die Kühlerhaube war zum V gefaltet, die Windschutzscheibe und die Kopfstützen lagen auf dem Rücksitz.
    »Ah, verschrottet. Sie sehen ja auch, daß an dem Au-to nichts mehr dran ist.« Dabei guckte er so offensichtlich verstohlen auf die Anlage, daß es mir auffiel. Sie war völlig intakt.
    »Ich nehme Ihnen die Anlage schon nicht raus. Aber könnte ich mir das Auto jetzt allein anschauen?« Ich steckte ihm zehn Mark zu, und er ließ mich allein.
    Ich ging noch mal um das Auto herum. Seltsam, auf den rechten Scheinwerfer hatte Mischkey mit einem schwarzen Klebeband ein Kreuz geklebt. Wieder faszi-nierte mich die fast unversehrt wirkende rechte Seite.
    Als ich genau hinsah, entdeckte ich die Flecken. Sie waren auf dem flaschengrünen Lack nicht leicht zu sehen, es waren auch nicht viele. Aber sie sahen nach Blut aus, 134
    und ich fragte mich, wie es da hingekommen war. Hatte man Mischkey auf dieser Seite aus dem Wagen gezogen? Hatte Mischkey überhaupt geblutet? Hatte sich jemand bei der Bergung verletzt? Vielleicht war es un-wichtig, aber ob es Blut war, interessierte mich jetzt doch so, daß ich mit meinem Schweizer Offiziersmesser dort, wo die Flecken waren, ein bißchen Lack in ein kleines leeres Filmdöschen abkratzte. Philipp würde mir die Probe analysieren lassen.
    Ich schlug das Verdeck zurück und schaute in das Innere. Auf dem Fahrersitz fand ich kein Blut. Die Seiten-taschen in den Türen waren leer. Am Armaturenbrett klebte ein silberner Christophorus. Ich riß ihn ab, vielleicht würde Frau Buchendorff ihn mögen, auch wenn er bei Mischkey versagt hatte. Das Radio- und Kassettengerät erinnerte mich an den Samstag, an dem ich Mischkey von Heidelberg nach Mannheim gefolgt war.
    Es war noch eine Kassette drin, die ich rausnahm und einsteckte.
    Von Automechanik verstehe ich nicht viel. Deswegen

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