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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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rechts boxte ihm in den Magen, noch mal und noch mal. Es war ganz unwirklich. Die Männer wirkten irgendwie unbeteiligt, und Peter machte keine Anstalten, sich zu wehren. Vielleicht war er genauso gelähmt wie ich. Es war auch ganz schnell vorbei. Als ich losrannte, nahm der Schläger Peter noch die Brille von der Nase, mit einer fast sorgsamen Bewegung, ließ sie fallen und zertrat sie. Ebenso lautlos und plötzlich, wie alles geschehen war, ließen sie von Peter ab und verschwanden wieder hinter dem Sandsteinblock. Ich hörte sie noch eine Weile durch den Wald davonlaufen.
    Als ich bei Peter ankam, war er zusammengesunken und lag gekrümmt auf der Seite. Ich habe dann – aber das ist jetzt ja egal. Er hat mir nie erzählt, warum er zum Ehrenfriedhof gefahren ist und zusammengeschlagen wurde. Er hat mich auch nie gefragt, warum ich ihm nachgefahren bin.«
    Wir schwiegen beide. Was sie erzählt hatte, klang nach der Arbeit von Profis, und ich verstand, warum sie an Peters Unfalltod zweifelte.
    »Nein, ich glaube nicht, daß Sie hysterisch sind. Gibt es noch etwas, das Ihnen merkwürdig vorgekommen ist?«
    »Kleinigkeiten, zum Beispiel, daß er wieder zu rauchen anfing. Und seine Blumen eingehen ließ. Er muß auch zu seinem Freund Pablo seltsam gewesen sein. Ich habe mich mal mit ihm getroffen in der Zeit, weil ich nicht weiterwußte, und er war auch besorgt. Ich bin 129
    froh, daß Sie mir glauben. Als ich der Polizei vom Ehrenfriedhof erzählen wollte, hat die das gar nicht interessiert.«
    »Und wollen Sie jetzt von mir, daß ich die Ermittlungen durchführe, die die Polizei vernachlässigt hat?«
    »Ja. Ich denke, daß Sie nicht billig sind. Ich kann Ihnen zehntausend Mark geben, und dafür hätte ich gerne Gewißheit über Peters Tod. Brauchen Sie einen Vorschuß?«
    »Nein, Frau Buchendorff. Ich brauche keinen Vorschuß, und ich sage Ihnen im Moment auch nicht zu, daß ich den Fall übernehme. Was ich machen kann, ist sozusagen eine Voruntersuchung: Ich muß die nahelie-genden Fragen stellen, Spuren überprüfen und kann erst dann entscheiden, ob ich wirklich in den Fall einsteige.
    Das wird nicht sehr teuer werden. Sind Sie damit einverstanden?«
    »Gut, machen wir es so, Herr Selb.«
    Ich notierte mir einige Namen, Adressen und Daten und versprach, sie auf dem laufenden zu halten. Ich brachte sie an die Tür. Draußen regnete es noch immer.
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    3
    Ein silberner Christophorus
    Mein alter Freund bei der Heidelberger Polizei ist Hauptkommissar Nägelsbach. Er wartet auf seine Pensionierung; seit er mit fünfzehn als Bote auf der Staatsanwaltschaft Heidelberg angefangen hat, hat er zwar schon den Kölner Dom, den Eiffelturm, das Empire State Building, die Lomonossow-Universität und das Schloß Neuschwanstein aus Streichhölzern gebaut, aber den Nachbau des Vatikans, der sein eigentlicher Traum und ihm neben dem Polizeidienst nur zuviel ist, hat er auf den Ruhestand verschoben.
    Ich bin gespannt. Mit Interesse habe ich die künstlerische Entwicklung meines Freundes verfolgt. Bei seinen früheren Arbeiten sind die Streichhölzer alle etwas kürzer. Damals haben seine Frau und er die Schwefelköpfchen mit der Rasierklinge abgetrennt; er wußte noch nicht, daß die Zündholzfabriken auch kopflose Streichhölzer abgeben. Mit den längeren Streichhölzern haben die späteren Bauten etwas go-tisch Ragendes bekommen. Weil seine Frau ihm mit den Streichhölzern nicht mehr helfen mußte, begann sie, ihm bei der Arbeit vorzulesen. Sie fing mit dem Ersten Buch Mose an und ist gerade bei der ›Fackel‹
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    von Karl Kraus. Hauptkommissar Nägelsbach ist ein gebildeter Mann.
    Ich hatte ihn am Morgen angerufen, und als ich um zehn Uhr bei ihm in der Polizeidirektion war, machte er mir eine Ablichtung des Polizeiberichts.
    »Seit es den Datenschutz gibt, weiß bei uns niemand mehr, was er noch darf. Ich habe beschlossen, auch nicht mehr zu wissen, was ich nicht darf«, sagte er und gab mir den Bericht. Es waren nur ein paar Seiten.
    »Wissen Sie, wer den Unfall aufgenommen hat?«
    »Das war Hesseier. Ich dachte mir schon, daß Sie den sprechen wollen. Sie haben Glück, er ist heute vormittag hier, und ich habe Sie ihm angekündigt.«
    Hesseier saß an seiner Schreibmaschine und tippte mühsam. Ich werde nie verstehen, warum man Polizisten nicht richtig Schreibmaschine schreiben beibringt.
    Es sei denn, die Verdächtigen und Zeugen sollen durch den Anblick des tippenden Polizisten gefoltert werden.
    Es ist eine Folter; der

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