Selbs Justiz
hätte eher zu meiner Rolle gepaßt.
Aber ist damit noch Staat zu machen?
»Einen Versicherungsagenten wie mich finden Sie nicht noch mal. Können Sie mir die Nachnamen von Hanne und Joschka geben?«
Ich hätte mir die Frage sparen können. Sie war ja noch nicht lange dabei, »und beim Theater duzen wir uns alle. Wie heißen Sie mit Vornamen?«
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»Hieronymus. Meine Freunde nennen mich Ronnie.«
»Das wollte ich gar nicht wissen, wie Ihre Freunde Sie nennen. Ich denke, daß die Vornamen etwas mit der Persönlichkeit zu tun haben.«
Ich wäre gern schreiend weggelaufen. Statt dessen dankte ich, zahlte an der Theke und ging leise.
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Ästhetik und Moral
Am nächsten Morgen rief ich Frau Buchendorff an.
»Ich würde mir gerne Mischkeys Wohnung und Sachen ansehen. Können Sie dafür sorgen, daß ich reinkom-me?«
»Fahren wir nach Büroschluß zusammen rüber. Soll ich Sie um halb vier abholen?«
Frau Buchendorff und ich fuhren über die Dörfer nach Heidelberg. Es war Freitag, die Leute kamen früh von der Arbeit und bereiteten Haus, Hof, Garten, Auto und sogar den Bürgersteig auf das Wochenende vor.
Herbst lag in der Luft. Ich spürte mein Rheuma kommen und hätte das Verdeck lieber zugehabt, aber wollte nicht alt wirken und sagte nichts. In Wieblingen dachte ich an die Eisenbahnbrücke auf dem Weg nach Eppelheim. Ich würde in den nächsten Tagen hinfahren. Jetzt, mit Frau Buchendorff, erschien mir der Umweg wenig passend. »Hier geht’s nach Eppelheim«, sie zeigte hinter der kleinen Kirche nach rechts. »Ich hab das Gefühl, ich muß mir die Stelle mal anschauen, ich schaff’s nur noch nicht.«
Sie stellte das Auto ins Parkhaus am Kornmarkt. »Ich hab uns angekündigt. Peter teilte die Wohnung mit ei-144
nem Bekannten, der an der th Darmstadt arbeitet. Ich hab zwar einen Schlüssel, wollte aber nicht einfach in die Wohnung platzen.«
Ihr fiel nicht auf, daß ich den Weg zu Mischkeys Wohnung kannte. Ich versuchte nicht, den Unkundigen zu spielen. Auf unser Klingeln öffnete niemand, und Frau Buchendorff schloß die Haustür auf. Im Hausflur stand kühle Kellerluft. »Der Keller unter dem Haus geht zwei Stockwerke tief in den Berg.«
Der Boden war aus schweren Sandsteinplatten. An der mit Delfter Muster gekachelten Wand lehnten Fahrräder. Die Briefkästen waren alle schon einmal aufge-brochen worden. Bunte Glasfenster ließen nur wenig Licht auf die ausgetretenen Treppenstufen fallen.
»Wie alt ist das Haus?« fragte ich, während wir in den zweiten Stock stiegen.
»Ein paar hundert Jahre. Peter mochte es sehr gerne.
Er hat schon als Student hier gewohnt.«
Mischkeys Teil der Wohnung bestand aus zwei gro-
ßen, ineinandergehenden Zimmern. »Sie müssen nicht hierbleiben, Frau Buchendorff, wenn ich mich hier um-sehe. Wir können uns nachher im Café treffen.«
»Danke, aber ich schaff das schon. Wissen Sie denn, was Sie suchen?«
»Hm«, ich orientierte mich. Das Vorderzimmer war Arbeitszimmer, mit großem Tisch am Fenster, Klavier und Regalen an den übrigen Wänden. In den Regalen Leitzordner und Stöße von Computerausdrucken.
Durch das Fenster sah ich auf die Dächer der Altstadt und den Heiligenberg. Im zweiten Zimmer standen das 145
Bett mit einer Patchwork-Decke darüber, drei Sessel aus der Ära des Nierentisches, ein ebensolcher, ein Schrank, Fernsehapparat und Musikanlage. Vom Fenster aus sah ich nach links zum Schloß hoch, nach rechts auf die Litfaßsäule, hinter der ich vor Wochen gestanden hatte.
»Er hatte keinen Computer?« fragte ich erstaunt.
»Nein. Er hatte allerhand private Sachen auf der Anlage im rrz.«
Ich wandte mich den Regalen zu. Die Bücher handelten von Mathematik, Informatik, Elektronik und künstlicher Intelligenz, von Filmen und Musik. Daneben eine wunderschöne Gottfried-Keller-Ausgabe und stapel-weise Science-fiction. Auf den Rücken der Leitzordner war von Rechnungen und Steuern, Garantiescheinen, Gebrauchsanweisungen, Zeugnissen und Urkunden, Reisen, der Volkszählung und mir schwer verständlichen Computerdingen die Rede. Ich griff mir den Ordner mit Rechnungen und blätterte darin. Im Ordner mit Zeugnissen erfuhr ich, daß Mischkey in der Quarta einen Preis gewonnen hatte. Auf dem Schreibtisch lag ein Stoß Papiere, den ich durchsah. Neben Privatpost, un-erledigten Rechnungen, Programmentwürfen und Noten fand ich einen Zeitungsausschnitt.
» rcw ehrten ältesten Rheinfischer. Bei seiner gestrigen Ausfahrt wurde der 95 Jahre alt gewordene
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