Selbs Justiz
verzichtete ich darauf, tumb in den Motorraum zu star-ren oder unter das Wrack zu kriechen. Was ich gesehen hatte, reichte mir für eine Vorstellung von der Kollision des Autos mit dem Geländer und dem Sturz auf die Gleise. Ich holte meine kleine Rollei aus der Mantelta-sche und machte ein paar Aufnahmen. Beim Bericht, den mir Nägelsbach mitgegeben hatte, waren Photos dabei, aber in der Kopie war darauf wenig zu erkennen.
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Ich schwitzte alleine
Zurück in Mannheim, fuhr ich als erstes in die Städtischen Krankenanstalten. Ich fand Philipps Zimmer, klopfte an und trat ein. Er versteckte gerade den Aschenbecher mit rauchender Zigarette in der Schreib-tischschublade. »Ach, du bist’s.« Er war erleichtert.
»Ich habe der Oberschwester versprochen, nicht mehr zu rauchen. Was führt dich zu mir?«
»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
»Bitte mich bei einem Kaffee drum, wir gehen in die Kantine.« Als er mir mit wehendem weißem Mantel vorauseilte und für jede hübsche Schwester einen losen Spruch hatte, sah er aus wie Peter Alexander als Graf Danilo. In der Kantine tuschelte er mir etwas über die blonde Schwester drei Tische weiter zu. Sie warf einen Blick herüber, den Blick eines blauäugigen Haifisches.
Ich mag Philipp, aber wenn ihn eines Tages ein solcher Haifisch verspeist, hat er’s verdient.
Ich holte mein Filmdöschen aus der Tasche und stellte es vor ihn hin.
»Klar kann ich dir einen Film entwickeln lassen in unserem Röntgenlabor. Aber daß du inzwischen Bilder machst, die du dich nicht mehr ins Photoge-136
schäft zu bringen traust – nein, Gerd, das haut mich um.«
Philipp hatte wirklich nur das eine im Kopf. War das bei mir mit Ende Fünfzig auch so gewesen? Ich dachte zurück. Nach den schalen Ehejahren mit Klara hatte ich die ersten Jahre meiner Witwerschaft als zweiten Frühling erlebt. Aber ein zweiter Frühling voller Romantik
– Philipps Bonvivanterie war mir fremd.
»Falsch, Philipp. Im Döschen ist ein bißchen Lack-staub mit was dran, und ich muß wissen, ob das Blut ist, wenn’s geht mit Blutgruppe. Und das stammt nicht et-wa von einer Defloration auf meiner Kühlerhaube, wie du schon wieder denkst, sondern aus einem Fall, den ich bearbeite.«
»Das muß sich doch nicht ausschließen. Aber wie auch immer, ich veranlasse das schon. Ist es eilig? Willst du drauf warten?«
»Nein, ich ruf morgen wieder an. Wie ist’s übrigens, gehen wir mal wieder einen Wein trinken?«
Wir verabredeten uns für Sonntag abend in den ›Badischen Weinstuben‹. Als wir zusammen aus der Kantine kamen, rannte er plötzlich los. Eine fernöstliche Schwesternhelferin war in den Lift getreten. Er schaffte es noch, ehe die Tür sich schloß.
Im Büro tat ich, was ich schon lange hätte tun sollen.
Ich rief in Firners Büro an, wechselte mit Frau Buchendorff ein paar Worte und ließ mich mit Firner verbin-den.
»Grüß Sie, Herr Selb. Was steht an?«
»Ich möchte mich sehr für den Korb bedanken,
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der mich bei der Rückkehr aus dem Urlaub erwartet hat.«
»Ah, Sie waren im Urlaub. Wo ist es denn hingegangen?«
Ich erzählte ihm von der Ägäis, von der Jacht, und daß ich in Piräus ein Schiff voll mit rcw-Containern gesehen hatte. Er war als Student mit dem Rucksack durch den Peloponnes gewandert und hatte jetzt gelegentlich dienstlich in Griechenland zu tun. »Wir versie-geln die Akropolis gegen die Erosion, ein Unesco-Projekt.«
»Sagen Sie, Herr Firner, wie ist mein Fall weitergegangen?«
»Wir sind Ihrem Rat gefolgt und haben die Emis-sionsdatenaufzeichnung von unserem System abge-koppelt. Wir haben das gleich nach Ihrem Bericht gemacht und seitdem auch keinerlei Ärger mehr gehabt.«
»Und was haben Sie mit Mischkey gemacht?«
»Wir haben ihn vor ein paar Wochen einen Tag lang hier gehabt, und er hatte uns eine Menge zu sagen über die Systemzusammenhänge, Einbruchstellen und Siche-rungsmöglichkeiten. Fähiger Mann das.«
»Die Polizei haben Sie nicht eingeschaltet?«
»Das erschien uns letztlich nicht opportun. Von der Polizei geht es an die Presse – auf diese Art Publicity legen wir keinen Wert.«
»Und der Schaden?«
»Auch das haben wir überlegt. Wenn es Sie interessiert: Einige unserer Herren fanden es zunächst unerträglich, Mischkey einfach laufenzulassen, nachdem 138
sich der von ihm verursachte Schaden auf fünf Millionen hochrechnen läßt. Aber am Ende hat sich zum Glück die ökonomische Vernunft gegen den juristischen Standpunkt
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