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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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da-zu gehört es nun einmal, andere zu benutzen, bloßzu-174
    stellen, zu überführen, auch wenn sie sympathisch sind.«
    »Ja und? Warum dann die große Beichte? Irgendwie willst du doch eine Absolution von mir.«
    Ich sprach in ihr verletztes, abweisendes Gesicht.
    »Du bist meine Auftraggeberin, und zwischen meinen Auftraggebern und mir hab ich gern klare Verhältnisse.
    Warum ich dir die Geschichte nicht gleich erzählt habe, magst du fragen. Ich habe …«
    »Das mag ich allerdings fragen. Aber eigentlich will ich die glatten, feigen, falschen Sachen, die du jetzt sagen kannst, gar nicht hören. Danke für den Tee.« Sie griff nach ihrer Handtasche und stand auf. »Was schulde ich Ihnen für Ihre Bemühungen? Schicken Sie mir Ihre Rechnung.«
    Auch ich stand auf. Als sie im Flur die Tür öffnen wollte, zog ich ihre Hand von der Klinke weg. »Mir liegt viel an dir. Und dein Interesse, Klarheit über Mischkey zu haben, ist doch nicht erledigt. Geh nicht so.«
    Sie hatte, während ich redete, ihre Hand in meiner gelassen. Jetzt nahm sie die Hand weg und ging wort-los.
    Ich schloß die Wohnungstür. Aus dem Kühlschrank nahm ich das Glas mit den Oliven und setzte mich auf den Balkon. Die Sonne schien, und Turbo, der auf den Dächern gestromert hatte, kringelte sich schnurrend in meinen Schoß. Es war nur wegen der Oliven, ich gab ihm ein paar ab. Von der Straße hörte ich, wie Judith ihren Alfa anließ. Der Motor heulte auf, erstarb. Kam sie 175
    wieder? Nach einigen Sekunden ließ sie den Wagen noch einmal an und fuhr davon.
    Ich schaffte es, nicht darüber nachzudenken, ob ich mich richtig verhalten hatte, und genoß jede einzelne Olive. Es waren die schwarzen griechischen, die nach Moschus, Rauch und schwerer Erde schmecken.
    Nach einer Stunde auf dem Balkon ging ich in die Küche und machte die Kräuterbutter für die Schnecken nach dem Konzert. Es war fünf Uhr, ich rief bei Brigitte an und ließ das Telephon zehnmal klingeln. Zum Hem-denbügeln hörte ich die Wally und freute mich auf Wilhelmenia Fernandez. Aus dem Keller holte ich ein paar Flaschen Elsässer Riesling und legte sie in den Eisschrank.
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    Hase und Igel
    Das Konzert war im Mozartsaal. Unsere Plätze waren in der sechsten Reihe, seitlich links, so daß uns der Blick auf die Sängerin nicht durch den Dirigenten ver-stellt war. Beim Hinsetzen warf ich einen Blick in die große Runde. Ein angenehm gemischtes Publikum, von den älteren Damen und Herren bis zu den Kindern, die man eher im Rockkonzert vermuten würde. Babs, Rö-
    schen und Georg kamen in ganz alberner Stimmung an; Mutter und Tochter steckten ständig die Köpfe zusammen und kicherten, Georg streckte die Brust raus und plusterte sich. Ich setzte mich zwischen Babs und Rö-
    schen, tätschelte der einen das linke und der anderen das rechte Knie.
    »Ich dachte, du bringst dir selber eine Frau zum Tät-scheln mit, Onkel Gerd.« Röschen nahm meine Hand mit spitzen Fingern und ließ sie neben ihrem Knie fallen. Sie trug einen schwarzen, die Finger freilassenden Spitzenhandschuh. Die Geste war vernichtend.
    »Ach, Röschen, Röschen, als ich dich kleines Mädchen damals vor den Indianern gerettet habe, auf meinem linken Arm, den Colt in der Rechten, hast du nicht so mit mir geredet.«
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    »Es gibt keine Indianer mehr, Onkel Gerd.«
    Was war aus dem lieben Mädchen geworden? Ich
    guckte sie von der Seite an, die postmoderne Brikettfrisur, die silberne geballte Faust mit dem beredten Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger am Ohr, das flä-
    chige Gesicht, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte, und der etwas zu kleine, immer noch kindliche Mund.
    Der Dirigent war ein schmieriger Mafioso von klei-nem Wuchs und großer Fettleibigkeit. Er neigte seinen ondulierten Kopf vor uns und trieb das Orchester in ein Orchesterpotpourri von ›Gianni Schicchi‹ Er war gut, der Mann. Mit den sparsamen Bewegungen seines zier-lichen Stocks zauberte er aus dem gewaltigen Orchester den zartesten Wohlklang.
    Ich mußte ihm auch zugute halten, daß er an die Kesselpauken eine befrackte und behoste allerliebste kleine Paukistin gesetzt hatte. Ob ich nach dem Konzert am Orchesterausgang auf sie warten und anbieten könnte, ihr beim Nachhausetragen der Kesselpauken behilflich zu sein?
    Dann trat Wilhelmenia auf. Sie war seit ›Diva‹ etwas fülliger geworden, aber berückend im straßbesetzten glitzernden Abendkleid. Am besten war die Wally. Mit ihr schloß das Konzert, mit ihr eroberte sich die Diva

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