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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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das Publikum. Es war schön, jung und alt im Beifall vereint zu sehen. Nach zwei hart erkämpften Zugaben, in denen die kleine Paukistin mein Herz noch einmal virtuos zum Wirbeln brachte, traten wir beschwingt in die Nacht hinaus. »Gehen wir noch wohin?« fragte Georg.
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    »Wenn ihr wollt, zu mir. Ich habe Schnecken vorbereitet und Riesling kalt gestellt.«
    Babs strahlte, Röschen maulte: »Müssen wir da hin-laufen?«, und Georg sagte: »Ich lauf mit Onkel Gerd, ihr könnt ja mit dem Auto kommen.«
    Georg ist ein ernsthafter junger Mann. Auf dem Weg erzählte er von seinem Jurastudium, das ins fünfte Semester ging, von großen und kleinen Scheinen und vom Strafrechtsfall, an dem er gerade saß. Umweltschutz-strafrecht – das klang interessant, war aber doch nur die beliebige Einkleidung für Probleme von Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe, die ich vor mehr als vierzig Jahren genauso hätte gestellt bekommen können. Sind die Juristen so phantasielos, oder ist’s die Wirklichkeit?
    Babs und Röschen warteten vor der Haustür. Als ich aufgeschlossen hatte, zeigte sich, daß die Treppenhaus-beleuchtung ausgefallen war. Wir tasteten uns hoch, mit viel Stolpern und Lachen, und Röschen hatte ein biß-
    chen Angst im Dunkeln und war angenehm kleinlaut.
    Es wurde ein netter Abend. Die Schnecken waren gut und ebenso der Wein. Mein Auftritt war ein voller Erfolg. Als ich das Kassettengerät, mit dem ich über ein kleines, am Revers verstecktes Mikrophon ziemlich gu-te Aufnahmen machen kann, aus der Innentasche holte, aufklappte und die Kassette in das Deck meiner Anlage schob, erkannte Röschen das Zitat sofort und klatschte in die Hände. Georg begriff, als die Wally ertönte. Babs sah uns fragend an. »Mama, du mußt dir die ›Diva‹ anschauen, wenn sie wieder läuft.«
    Wir spielten Hase und Igel, und um halb eins war das 179
    Spiel in seiner entscheidenden Phase und der Riesling alle. Ich nahm meine Taschenlampe und ging in den Keller. Ich erinnere mich nicht, davor je ohne Licht das große Treppenhaus hinuntergestiegen zu sein. Aber meine Beine hatten sich in den vielen Jahren den Weg so gemerkt, daß ich mich ganz sicher fühlte. Bis ich auf den vorletzten Treppenabsatz kam. Hier hatte der Architekt, vielleicht um die Belle Etage repräsentativer und höher zu machen, statt der sonstigen zwölf Stufen vierzehn bauen lassen. Ich hatte darauf nie geachtet, auch meine Beine hatten sich dieses Detail meines Treppenhauses nicht gemerkt, und nach der zwölften Stufe machte ich einen großen Schritt geradeaus statt einen kleinen abwärts. Ich knickte ein, konnte mich noch am Geländer fangen, aber der Schmerz fuhr mir in den Rücken. Ich richtete mich auf, machte einen tasten-den nächsten Schritt und knipste die Taschenlampe an.
    Ich erschrak furchtbar. Auf dem vorletzten Treppenabsatz ist die Stirnwand mit einem Spiegel im Stuckrah-men bedeckt, und in ihm stand mir ein Mann gegenüber und richtete einen blendend hellen Lichtstrahl auf mich.
    Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis ich mich erkannte. Aber der Schmerz und der Schreck langten, um mich mit klopfendem Herzen und unsiche-rem Schritt weiter in den Keller gehen zu lassen.
    Wir spielten bis halb drei. Als das Taxi sie abgeholt, ich noch mal das dunkle Treppenhaus bewältigt und das Geschirr in die Küche geräumt hatte, stand ich noch ei-ne Zigarettenlänge vor dem Telephon. Mir war danach, Brigitte anzurufen. Aber die alte Schule siegte.
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    Schmeckt’s?
    Den Morgen vertrödelte ich. Im Bett blätterte ich in Mischkeys Ordner und dachte einmal mehr darüber nach, warum er ihn angelegt hatte, nippte an meinem Kaffee und knabberte an dem Plunderteilchen, das ich mir gestern in Vorbereitung auf den Sonntag gekauft hatte. Dann las ich in der ›Zeit‹ den Besinnungsaufsatz von Theo Sommer, das Rührstück von Marion Gräfin Dönhoff, Staatsmännisches von unserem Exkanzler mit Weltruf und Unvermeidliches von Gerd Bucerius. Ich wußte wieder, wo es langgeht, und mußte mir daher Reich-Ranickis Besprechung von Wolfram Siebecks Buch über die luftige Küche der Ballonfahrer nicht mehr zu Gemüte führen. Dann schmuste ich mit Turbo.
    Brigitte nahm noch immer nicht ab. Um halb elf klingelte Röschen, die das Auto abholte. Ich warf den Morgenmantel über mein Nachthemd und bot ihr einen Sherry an. Ihre Brikettfrisur lag heute früh in Schutt und Asche.
    Schließlich war ich meines Trödelns müde und fuhr zur Brücke zwischen Eppelheim und

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