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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink , Walter Popp
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Wieblingen, wo Mischkey zu Tode gekommen war. Es war ein sonniger Frühherbsttag; ich fuhr durch die Dörfer, über dem 181
    Neckar stand der Nebel, auf den Feldern wurden trotz des Sonntags Kartoffeln gelesen, die ersten Blätter färb-ten sich bunt, und von den Schornsteinen der Gasthöfe stieg der Rauch auf.
    Die Brücke selbst sagte mir nicht mehr, als ich aus dem Polizeibericht schon wußte. Ich guckte auf die Gleise, die etwa fünf Meter unter mir lagen, und dachte an den umgestürzten Citroën. Ein Schienenbus fuhr in Richtung Edingen. Als ich über die Fahrbahn ging und auf der anderen Seite hinuntersah, erblickte ich den alten Bahnhof. Ein schöner Sandsteinbau der Jahrhun-dertwende mit drei Stockwerken, runden Bogenfenstern im ersten Stock und einem kleinen Türmchen. Die Bahnhofgaststätte schien noch in Betrieb. Ich trat ein.
    Der Raum war düster, von den zehn Tischen waren drei besetzt, an der rechten Seite standen Musikbox, Flipper und zwei Videospiele, auf der altdeutsch restaurierten Theke kümmerte eine Zimmerpalme, in ihrem Schatten die Wirtin. Ich setzte mich an den freien Tisch am Fenster, mit Blick auf Bahnsteig und Gleiskörper, bekam die Karte mit Wiener-, Jäger- und Zigeunerschnitzel, jeweils mit Pommes, und fragte die Wirtin nach dem Tagesgericht, Plat du jour, um mit Ostenteich zu sprechen. Sauerbraten hatte sie anzubieten, Klöße und Rotkraut, Brühe mit Mark. »Topp«, sagte ich und bestellte einen Wieslocher dazu.
    Ein junges Mädchen brachte mir den Wein. Sie war etwa sechzehn und von einer lasziven Üppigkeit, die mehr war als die Kombination von zu engen Jeans, zu knapper Bluse und zu roten Lippen. Jeden Mann unter 182
    Fünfzig würde sie angemacht haben. Mich nicht. »Wohl bekomm’s«, sagte sie gelangweilt.
    Als die Mutter mir die Suppe brachte, fragte ich nach dem Unfall von Anfang September. »Haben Sie was davon mitgekriegt?«
    »Da muß ich meinen Mann fragen.«
    »Was würde der sagen?«
    »Also, wir lagen damals schon im Bett, und dann hat es plötzlich diesen Schlag getan. Und kurz darauf noch einen. Ich habe zu meinem Mann gesagt: ›Wenn da mal nichts passiert ist.‹ Er stand gleich auf und nahm die Gaspistole, weil doch bei uns immer in die Automaten eingebrochen wird. Aber war nichts mit den Automaten, sondern oben an der Brücke. Sind Sie von der Presse?«
    »Ich bin von der Versicherung. Hat Ihr Mann dann die Polizei angerufen?«
    »Mein Mann hat doch noch gar nichts gewußt. Als im Gastraum nichts war, ist er hochgekommen und hat was übergezogen. Er ist dann raus auf die Gleise, aber da hat er schon die Sirene vom Notarzt gehört. Was hätt er noch anrufen sollen?«
    Die dralle blonde Tochter brachte den Sauerbraten und hörte aufmerksam zu. Ihre Mutter schickte sie wieder in die Küche. »Ihre Tochter hat nichts mitgekriegt?« Es war mit Händen zu greifen, daß die Mutter ein Problem mit ihrer Tochter hatte. »Die kriegt gar nichts mit. Guckt nur jeder Hose nach, wenn Sie wissen, was ich meine. Ich war nicht so damals.« Jetzt war es zu spät. In ihrem Blick lag hungrige Vergeblichkeit.
    »Schmeckt’s?«
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    »Wie bei Muttern«, sagte ich. Es klingelte aus der Küche, und sie löste ihren bereiten Leib von meinem Tisch. Ich beeilte mich mit Sauerbraten und Wieslocher.
    Auf dem Weg zu meinem Auto hörte ich schnelle
    Schritte hinter mir. »Hallo, Sie!« Die Kleine aus der Bahnhofgaststätte kam atemlos gerannt. »Sie wollen doch was über den Unfall wissen. Ist ein Hunderter für mich drin?«
    »Kommt drauf an, was du mir zu sagen hast.« Sie war ein hartgesottenes Luder. »Fünfzig gleich, und davor fange ich nicht zu reden an.« Ich wollte es wissen und zog zwei Fünfzigmarkscheine aus meiner Brieftasche.
    Den einen gab ich ihr, den anderen knüllte ich zu einem Bällchen.
    »Also, das war so. An dem Donnerstag hat mich der Struppi nach Hause gefahren, mit seinem Manta. Als wir über die Brücke kamen, stand da der Lieferwagen.
    Ich habe mich noch gewundert, was der macht auf der Brücke. Dann haben der Struppi und ich, na, dann haben wir halt noch. Und als es geknallt hat, hab ich den Struppi weggeschickt, weil ich mir schon gedacht hab, daß mein Vater jetzt kommt. Meine Eltern haben was gegen den Struppi, weil er doch so gut wie verheiratet ist. Aber ich liebe ihn. Ist ja auch egal, jedenfalls habe ich gesehen, wie der Lieferwagen wegfuhr.«
    Ich gab ihr das Bällchen. »Wie sah der Lieferwagen aus?«
    »Irgendwie komisch. Die fahren sonst nicht bei uns

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