Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand (German Edition)
leben, aber das fällt nicht weiter auf, wenn alle so etwas sagen. Es ist übrigens auch eine arrogante Behauptung gegen sich selbst: Man erklärt sich selbst für so doof und inkompetent, dass man trotz einer guten Ausbildung, eines im Weltmaßstab exorbitanten Einkommens und Lebensstandards, trotz jeder Menge Freizeit, Mobilität und Wahl zu allem und jedem, »nichts machen« kann gegen die weitere Zerstörung der Welt. Und man weist empört jede Aufforderung zurück, man solle doch Verantwortung übernehmen dafür, dass die Welt besser und nicht permanent schlechter wird.
Augenblick: Denken Sie nach, was Sie gedacht haben, wenn Sie jetzt gerade »Gutmensch« gedacht haben. Sie haben es schon für eine Zumutung gehalten, dass jemand ernsthaft davon ausgeht, dass es Möglichkeiten und Verpflichtungen geben könnte, in seinem eigenen Einfluss- und Verantwortungsbereich dafür zu sorgen, dass die Zukunft nicht schlechter wird als die Gegenwart. Das dumpfe Einverstandensein mit aller Verschlechterung der Zukunftsaussichten zeigt sich vor allem darin, dass wir widerspruchslos in einer Kultur leben, in der »Gutmensch« genauso als Beleidigung gilt wie »Wutbürger«. Dabei sind das doch nur die Invektiven der mit allem Einverstandenen gegen die, die ihnen am eigenen Beispiel demonstrieren, dass es keinen, aber auch nicht den geringsten Grund gibt, stolz noch auf die eigene soziale Impotenz zu sein. Schließlich sind die so Apostrophierten ja Menschen, die für etwas eintreten, und dagegen kann man ja nur sein, weil das die eigene Lethargie in Frage stellt. Anders gefragt: Sind »Schlechtmenschen« das Rollenmodell, das Sie favorisieren? Wollen Sie selber einer sein?
Extraktivismus
Empirisch sind Sie zweifellos einer: Sie wissen ja schon lange, dass unsere Kultur jeden wesentlichen Bereich künftiger Existenz – Boden, Wasser, Artenvielfalt, Klima – mit täglich wachsender Geschwindigkeit zerstört, aber das beunruhigt Sie nicht wirklich. Sie glauben Ihrer Einsicht nicht, dass die Wissenschaft recht hat und was Sie an der Verschiebung von Klimazonen und dem Auftreten von Tornados in Mittelhessen schon selber spüren: dass unser grandios erfolgreiches Zivilisationsmodell mit Endlichkeiten konfrontiert ist, mit denen es nie gerechnet hatte. Weshalb es auch jetzt nicht mit ihnen rechnet, obwohl sie schon da sind. Aber unsere Zivilisationsmaschine überspielt das mit Leichtigkeit: Trotz der vielen Zeichen von Erosion, trotz des fühlbaren Näherkommens der Einschläge auf dem Finanzmarkt, im Sozialbereich, in der Umweltpolitik, trotz aller »Peaks« und aller Schulden – die Infrastrukturen funktionieren weiter tadellos.
Der Zusammenbruch des Ostblocks hätte einen darüber belehren können, dass Systeme lange über ihr eigentliches Verfallsdatum hinaus weiterexistieren können, um dann wie ein von Termiten ausgehöhltes Haus geräuschlos zusammenzubrechen. Aber wir bewältigen den gegenwärtigen Erosionsprozess genauso wie die Breschnews, Ceauşescus und Honeckers jener Zeit: durch souveränes Verachten der Wirklichkeit und durch Rücksichtslosigkeit gegenüber denen, an deren Zukunft man Raubbau betrieben hat. Die Wirklichkeit, die besteht in dem schlichten Umstand, dass eine endliche Welt keinen Raum für unendliches Wachstum bereithält, weshalb man konsequenterweise auch dazu übergegangen ist, nicht mehr, wie früher, im Raum, sondern in der Zeit zu expandieren. [7] Nichts anderes bedeutet es ja, wenn man nicht nachhaltig wirtschaftet: Für die später Kommenden wird leider weniger da sein. Oder gar nichts mehr. In einer Umfrage der Boston Consulting Group glauben nur noch 13 Prozent aller befragten Eltern, dass es ihren Kindern einmal bessergehen würde als ihnen selbst. [8] Wo nehmen die restlichen 87 Prozent die entspannte Haltung her, dagegen nichts zu tun?
Mit Endlichkeit sind Ihre Kinder und Enkel, und – wenn Sie noch keine 50 Jahre alt sind – auch Sie selbst, strukturell vor allem auf zwei Ebenen konfrontiert: auf der Ebene der vielen Peaks im Bereich der Rohstoffe und auf der Ebene der verschwindenden Tragfähigkeit der »Senken«, die die Emissionen absorbieren, die bei der rastlosen Produktion von Gütern aller denkbaren und undenkbaren Art anfallen: Regenwälder und Ozeane zum Beispiel. Was die Energie angeht, die unsere Komfortzone beständig erweitert, sieht es besser aus als vor ein paar Jahrzehnten prognostiziert, aber das ist ein Unglück: über Peak oil sind wir
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