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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Oberflächenstruktur spüren.
    Dass zwischen den kartierten Mustern im Gehirn und den realen Objekten, von denen sie hervorgerufen werden, eine enge Verbindung besteht, wurde in verschiedenen Studien nachgewiesen. So entdeckt man beispielsweise in der Sehrinde von Affen eine enge Korrelation zwischen der Struktur eines visuellen Reizes (beispielsweise ein Kreis oder ein Kreuz) und dem von ihm hervorgerufenen Aktivitätsmuster. Zum ersten Mal zeigte dies Roger Tootell an Gehirngewebe, das er von Affen gewonnen hatte. Auf keinen Fall können wir aber das visuelle Erlebnis des Affen – die Bilder, die der Affe selbst sieht – »beobachten«, und das Gleiche gilt übrigens auch für die visuellen Erlebnisse unserer Versuchspersonen. Bilder – visuelle, akustische oder welcher Art auch immer – sind direkt nur für den Besitzer des Geistes zugänglich, in dem sie sich abspielen. Sie sind zutiefst privat und für Dritte nicht zu beobachten.
    Durch Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren werden solche Korrelationen inzwischen auch am Gehirn des Menschen nachgewiesen. Mit multivariater Musteranalyse konnten mehrere Arbeitsgruppen, darunter auch unsere, nachweisen, dass bestimmte Aktivitätsmuster in den Sinneszentren der menschlichen Hirnrinde eindeutig bestimmten Objektkategorien entsprechen. 3

Karten und Geist
     
    Das auffälligste Ergebnis der unaufhörlichen, dynamischen Kartierungstätigkeit des Gehirns ist der Geist. Die kartierten Muster stellen das dar, was wir als bewusste Lebewesen als Anblicke, Klänge, Berührungen, Gerüche, Geschmack, Schmerz, Freude und Ähnliches kennen – oder kurz gesagt: als Bilder. Die Bilder in unserem Geist sind die derzeitigen Gehirnkarten von allem und jedem in unserem Körper und in seiner Umgebung, Bilder des Konkreten wie des Abstrakten, des Augenblicklichen wie des zuvor im Gedächtnis Aufgezeichneten. Die Wörter, mit denen ich diese Gedanken vermitteln möchte, haben sich anfangs – vielleicht nur kurz und skizzenhaft – als akustische, visuelle oder somatosensorische Bilder von Phonemen und Morphemen gebildet. Erst danach habe ich sie in geschriebener Form auf dem Papier umgesetzt. Ebenso werden diese gedruckten Wörter, die Sie vor Augen haben, von Ihnen zuerst als verbale Bilder (visuelle Bilder der geschriebenen Sprache) verarbeitet, und erst dann setzt ihre Wirkung im Gehirn die Entstehung anderer Karten eines nonverbalen Typs in Gang. Solche nonverbalen Bilder helfen uns, geistig die Konzepte abzubilden, die den Worten entsprechen. Auch die Gefühle, die den Hintergrund der mentalen Einzelvorgänge bilden und die vor allem Aspekte des Körperzustandes kundtun, sind Bilder. Wahrnehmung ist in allen sensorischen Formen das Ergebnis der kartographischen Fähigkeiten unseres Gehirns.
    Bilder repräsentieren die physikalischen Eigenschaften von Gebilden, ihre räumlichen und zeitlichen Beziehungen sowie ihre Tätigkeiten. Manche Bilder – nämlich solche, die wohl entstehen, wenn das Gehirn Karten davon anfertigt, wie es selbst Karten erzeugt – sind recht abstrakt. Sie beschreiben die Gesetzmäßigkeiten des Vorkommens von Gegenständen in Raum und Zeit, die räumlichen Beziehungen und Bewegungen von Objekten im Hinblick auf Geschwindigkeit und Weg und so weiter. Manche Bilder finden ihren Weg in musikalische Kompositionen oder mathematische Beschreibungen. Der Geistesprozess ist ein ständiger Strom solcher Bilder; manche davon entsprechen den tatsächlichen Abläufen außerhalb des Gehirns, andere werden im Rahmen der Erinnerung aus dem Gedächtnis wieder aufgebaut. Der Geist ist eine raffinierte, fließende Kombination aus tatsächlichen und erinnerten Bildern in sich ständig wandelnden Proportionen. In der Regel sind die Bilder des Geistes logisch verknüpft; das gilt mit Sicherheit, wenn sie Ereignissen in der Außenwelt oder im Körper entsprechen, die ihrerseits von physikalischen und biologischen Gesetzen gelenkt werden, welche wir für logisch halten. Wenn wir tagträumen, bringen wir natürlich unter Umständen unlogische Bilderfolgen hervor, das Gleiche gilt, wenn uns schwindlig wird – das Zimmer dreht sich in Wirklichkeit nicht, der Tisch kommt nicht auf uns zu, die Bilder sagen uns aber etwas anderes – oder wenn wir halluzinogene Drogen genommen haben. Von solchen Sondersituationen abgesehen, bewegt sich der Strom der Bilder in den meisten Fällen schnell oder langsam, geordnet oder sprunghaft in der Zeit vorwärts, und gelegentlich bildet der

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