Selbst ist der Mensch
einzigartiger) Ebene verfügen sie über eine Fülle von Erinnerungen. Die Grundaspekte ihres Bewusstseins sind im Wesentlichen intakt.
Wenn wir uns der Hirnrinde zuwenden, finden wir ein völlig anderes Szenario. Mehrere Regionen der Großhirnrinde sind eindeutig an der Erzeugung jener Bilder beteiligt, die wir in unserem Geist betrachten und verändern. Und Rindenbereiche, die keine Bilder erzeugen, tragen meist dazu bei, sie aufzuzeichnen oder im Rahmen von Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen zu manipulieren. Die frühen sensorischen Rindenfelder für Sehen, Hören, Körperempfindung, Geschmack und Geruch, die wie Inseln im Ozean der Großhirnrinde liegen, erzeugen mit Sicherheit Bilder. Unterstützung erhalten sie bei ihrer Tätigkeit durch zweierlei Thalamuskerne: Relaiskerne (die Input aus der Peripherie anliefern) und assoziative Kerne (die in beiden Richtungen mit großen Abschnitten der Großhirnrinde verknüpft sind).
Diese Behauptung wird durch stichhaltige Befunde gestützt. Wir wissen, dass nennenswerte Schäden in jeder Insel des sensorischen Cortex zu einer umfangreichen Beeinträchtigung der Kartierungsfunktion dieses Sektors führt. Wenn beispielsweise die frühen Sehfelder beidseitig geschädigt werden, sind die Betroffenen »rindenblind«. Solche Patienten können keine detaillierten visuellen Bilder mehr erzeugen, und der Defekt betrifft nicht nur die Wahrnehmung, sondern oft auch die Erinnerung. Unter Umständen bleibt ihnen ein Wahrnehmungsrest erhalten, die sogenannte »Blindsicht«, bei der nicht bewusst wahrgenommene Anhaltspunkte eine gewisse visuelle Steuerung von Handlungen ermöglichen. Eine vergleichbare Situation ergibt sich auch bei der Schädigung anderer sensorischer Rindenfelder. Der Rest der Großhirnrinde, der Ozean rund um die Inseln, ist zwar primär nicht an der Erzeugung von Bildern beteiligt, er wirkt aber an ihrer Konstruktion und Verarbeitung mit, das heißt an der Aufzeichnung, Erinnerung und Manipulation von Bildern, die in den frühen sensorischen Rindenfeldern erzeugt werden. Näheres darüber in Kapitel 6. 5
Abweichend von Traditionen und Konventionen glaube ich aber, dass der Geist nicht ausschließlich in der Großhirnrinde erzeugt wird. Seine ersten Ausdrucksformen entstehen im Hirnstamm. Die Idee, die Verarbeitungsprozesse des Geistes würden auf der Ebene des Hirnstamms beginnen, ist so unkonventionell, dass sie nicht einmal unpopulär ist. Unter denen, die den Gedanken mit großer Leidenschaft vertreten haben, möchte ich Jaak Panksepp herausgreifen. Diese Vorstellung und jene, dass auch die ersten Gefühle im Hirnstamm entstehen, hängen zusammen. 6 Zwei Kerne im Hirnstamm, der Nucleus tractus solitarius und der Nucleus parabrachialis, wirken an der Erzeugung grundlegender Aspekte des Geistes mit, nämlich an den Gefühlen, die durch die laufenden Lebensereignisse entstehen und zu denen, wie beschrieben, auch Schmerz und Freude gehören. Ich stelle mir die von diesen Strukturen erzeugten Karten als einfach und im Wesentlichen ohne räumliche Details vor, aber sie ziehen Gefühle nach sich. Diese Gefühle sind aller Wahrscheinlichkeit nach die ursprünglichen Bestandteile des Geistes; ihre Grundlage sind die unmittelbaren Signale aus dem übrigen Körper. Interessanterweise sind sie auch urtümliche, unentbehrliche Bestandteile des Selbst, und sie bilden für den Geist die allererste, unfertige Erkenntnis, dass sein Organismus am Leben ist.
Formen von Karten (Bildern)
Ursprungsobjekte
1. Karten der inneren Struktur und des inneren Zustands des Organismus (interozeptive Karten)
Der Funktionszustand der Körpergewebe, z. B. Kontraktion oder Entspannung der glatten Muskulatur, Parameter aus dem inneren Milieu
2. Karten anderer Aspekte des Organismus (propriozeptive Karten)
Bilder bestimmter Körperteile, z. B. Gelenke, quergestreifte Muskulatur, manche inneren Organe
3. Karten der Außenwelt (exterozeptive Karten)
Alle Objekte und Ereignisse, die einen Sinnessensor ansprechen, z. B. die Netzhaut, die Cochlea oder die Tastsensoren der Haut
Abb. 3.1 . Formen von Karten (Bildern) und ihre Ursprungsobjekte. Durch die Verarbeitung werden Karten zu Bildern. Ein normaler Geist enthält Bilder in allen drei gezeigten Formen. Bilder vom inneren Zustand eines Organismus bilden die ursprünglichen Gefühle. Bilder von anderen Aspekten des Organismus stellen in Verbindung mit denen des inneren Zustands spezifische Körpergefühle dar. Gefühle von Emotionen
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