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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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Gehirn bildet unaufhaltsam die nicht reduzierbare Vielfalt nach. Alles, was sich außerhalb des Gehirns befindet – zunächst natürlich der eigentliche Körper von der Haut bis zu den Innereien, dann aber auch die ganze Umwelt, Mann, Frau, Kind, Katzen, Hunde, Orte, heißes und kaltes Wetter, glatte und raue Oberflächen, laute und leise Geräusche, süßer Honig und salziger Fisch –, wird in den Netzwerken des Gehirns nachgebildet. Mit anderen Worten: Das Gehirn ist in der Lage, Aspekte der Struktur anderer Dinge und Ereignisse zu repräsentieren; dazu gehören die Tätigkeiten, die unser Organismus und seine Bestandteile, zum Beispiel Gliedmaßen, Teile des Sprechapparats und so weiter, ausführen. Festzustellen, wie die Kartierung im Einzelnen stattfindet, ist einfacher gesagt als getan. Es handelt sich nicht nur um eine reine Kopie, nicht nur um die passive Übertragung von der Umgebung des Gehirns in sein Inneres. Die von den Sinnen erzeugte Zusammenstellung beinhaltet einen aktiven Beitrag, der aus dem Inneren des Gehirns kommt und von einem frühen Entwicklungsstadium an zur Verfügung steht. Die Vorstellung, das Gehirn sei eine leere Schiefertafel, ist längst in Misskredit geraten. 2 Wie bereits erwähnt, findet die Zusammenstellung häufig im Umfeld von Bewegungen statt.
     
    Eine kurze Anmerkung zur Terminologie: Früher habe ich den Begriff Bild ganz strikt nur als Synonym für mentale Muster oder mentale Bilder verwendet, und der Begriff neuronales Muster oder Karte bezeichnete ein Aktivitätsmuster im Gehirn im Gegensatz zum Geist. Damit wollte ich anerkennen, dass der Geist, den ich als Inhalt der Aktivität des Gehirngewebes betrachte, eine eigene Bezeichnung verdient, weil er ein ganz privates Erlebnis ist und weil dieses private Erlebnis genau das Phänomen darstellt, das wir erklären wollen. Der Versuch, die neuronalen Vorgänge mit ihren eigenen Begrifflichkeiten zu versehen, war Teil der Bemühungen, die Rolle solcher Vorgänge in den Geistesprozessen zu verstehen. Mit der Verwendung getrennter Beschreibungsebenen wollte ich keinesfalls sagen, dass es getrennte Substanzen gibt – eine geistige und eine biologische. Ich bin kein Substanzdualist – im Gegensatz zu Descartes, der uns dies zumindest glauben machen wollte, indem er behauptete, der Körper habe eine physische Ausdehnung, der Geist aber nicht, und deshalb müssten beide aus verschiedenen Substanzen bestehen. Ich machte mir vielmehr nur einen Dualismus der Aspekte zu eigen und erörterte die Frage, wie die Dinge an der erlebten Oberfläche aussehen. Das Gleiche tat natürlich auch mein Freund Spinoza, der Vorkämpfer des Monismus, der das exakte Gegenteil des Dualismus ist.
    Aber warum soll ich die Sache für mich und den Leser durch verschiedene Begriffe komplizierter machen, wenn die Dinge, die sie bezeichnen, einander nach meiner Auffassung entsprechen? In diesem ganzen Buch verwende ich die Begriffe Bild , Karte und neuronales Muster fast in gleicher Bedeutung. Hin und wieder lasse ich absichtlich die Grenze zwischen Geist und Gehirn verschwimmen, um damit zu unterstreichen, dass diese Unterscheidung zwar stichhaltig ist, aber den Blick auf das, was wir erklären wollen, verstellen kann.

Unter der Oberfläche schürfen
     
    Stellen wir uns einmal vor, wir würden ein Gehirn in der Hand halten und die Oberfläche der Hirnrinde betrachten. Jetzt nehmen wir ein scharfes Messer, setzen Schnitte in einer Tiefe von zwei oder drei Millimetern parallel zur Oberfläche und ziehen eine dünne Scheibe Gehirn heraus. Nachdem wir die Neuronen mit geeigneten Chemikalien fixiert und gefärbt haben, können wir das Präparat auf einen Objektträger legen und unter dem Mikroskop betrachten. Dabei werden wir in jeder Schicht der Hirnrinde eine Struktur entdecken, die im Wesentlichen einem zweidimensionalen Gitter aus Quadraten ähnelt. Die Hauptelemente des Gitters sind die horizontal dargestellten Neuronen. Das Ganze kann man sich so ähnlich vorstellen wie den Stadtplan von Manhattan, nur müssen wir den Broadway weglassen, denn in dem Hirnrindengitter gibt es keine größeren schrägen Linien. Wie wir sofort erkennen, eignet sich die Anordnung ideal für die topographische Darstellung von Objekten und Vorgängen.
    Betrachtet man einen Abschnitt der Hirnrinde, so erkennt man leicht, warum hier die detailliertesten Karten des Gehirns entstehen; andere Gehirnteile können zwar auch Karten generieren, aber mit geringerer Auflösung. Eine

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