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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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vielleicht an, der Körper arbeite als eine Einheit, als ein Klumpen Fleisch, der mit dem Gehirn über elektrische Leitungen, die man Nerven nennt, verbunden ist. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Der Körper besteht aus zahlreichen getrennten Abteilungen. Von entscheidender Bedeutung sind sicher die Eingeweide, denen oft viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Eine unvollständige Liste dieser Organe weist die üblichen Verdächtigen aus: Herz, Lunge, Darm, Leber und Pankreas, Mund, Zunge und Rachen, die endokrinen Drüsen (darunter Hypophyse, Schilddrüse und Nebennieren) sowie Eierstöcke und Hoden. Auf der Liste stehen aber auch eher unübliche Verdächtige: beispielsweise die Haut, ein ebenfalls lebenswichtiges, aber weniger beachtetes Organ, das den gesamten Organismus einhüllt, das Knochenmark und zwei dynamische Kandidaten namens Blut und Lymphe. Alle diese Abteilungen sind für das normale Funktionieren des Körpers unentbehrlich.
    Wie vielleicht nicht anders zu erwarten, konnte der Geist der frühen Menschen, der noch nicht so stark integriert und nicht so hoch entwickelt war wie unserer, die kleinteilige, bruchstückhafte Realität unseres Körpers viel einfacher wahrnehmen; diese Vermutung legen zumindest die Worte nahe, die uns von Homer überliefert sind. In der Ilias sprechen die Menschen nicht vom ganzen Körper ( soma ), sondern von Körperteilen, den Gliedmaßen. Blut, Atmung und die Funktionen der inneren Organe werden mit dem Wort psyche bezeichnet, das hier noch nicht die Bedeutung von »Geist« oder »Seele« hat. Die Lebensenergie, die den Körper antreibt und vermutlich mit Trieben und Emotionen vermischt ist, heißt thymos oder phren . 4
    Die Kommunikation zwischen Körper und Gehirn verläuft in beide Richtungen, vom Körper zum Gehirn ebenso wie umgekehrt. Die beiden Kommunikationswege sind aber in der Regel nicht symmetrisch. Neuronale und chemische Signale, die vom Körper zum Gehirn laufen, ermöglichen dem Gehirn, seine Multimedia-Dokumentation über den Körper aufzubauen und aufrechtzuerhalten, und der Körper macht das Gehirn mit ihrer Hilfe auf wichtige Veränderungen seines Aufbaus und seines Zustands aufmerksam. Das innere Milieu – jenes Bad, in dem sich alle Körperzellen befinden und das sich in der chemischen Zusammensetzung des Blutes wiederfindet – übermittelt ebenfalls Signale an das Gehirn, allerdings nicht über Nerven, sondern über Moleküle, die unmittelbar auf bestimmte, für den Empfang solcher Nachrichten vorgesehene Gehirnteile einwirken. An das Gehirn wird also ein äußerst breites Spektrum von Informationen übermittelt. Sie betreffen beispielsweise den Kontraktions- oder Entspannungszustand der glatten Muskulatur (das heißt jener Muskeln, die unter anderem die Wände von Arterien, Darm und Bronchien bilden), die lokale Sauerstoff- und Kohlendioxidkonzentration in den einzelnen Körperteilen, Temperatur und pH an verschiedenen Stellen, das lokale Auftreten toxischer Substanzen und so weiter. Mit anderen Worten: Das Gehirn weiß, in welchem Zustand der Körper früher war, und erfährt von auftretenden Veränderungen dieses Zustands. Letzteres ist unabdingbar, damit das Gehirn bei lebensbedrohlichen Veränderungen korrigierend eingreifen kann. Dagegen bestehen die neuronalen und chemischen Signale, die vom Gehirn zum Körper fließen, aus Anweisungen für Veränderungen im Körper. Der Körper sagt dem Gehirn: So bin ich gebaut, und in diesem Zustand befinde ich mich jetzt. Das Gehirn sagt dem Körper, was er tun muss, um in Balance zu bleiben. Und wenn es erforderlich ist, sagt es dem Körper auch, wie er einen emotionalen Zustand herstellen soll.
     
    Der Körper besteht aber nicht nur aus inneren Organen und innerem Milieu. Er umfasst auch die Muskeln, von denen es zwei Formen gibt: glatte und quergestreifte. In der quergestreiften Muskulatur erkennt man unter dem Mikroskop charakteristische »Streifen«, die in der glatten Muskulatur fehlen. Die glatte Muskulatur ist entwicklungsgeschichtlich älter und auf die inneren Organe beschränkt – sie sorgt dafür, dass sich Darm und Bronchien zusammenziehen und entspannen können. Auch die Wände unserer Arterien bestehen zu einem großen Teil aus glatter Muskulatur – wenn sie sich zusammenzieht, steigt der Blutdruck. Die quergestreifte Muskulatur dagegen ist an den Knochen des Skeletts befestigt und sorgt für die äußeren Körperbewegungen. Die einzige Ausnahme von diesem Prinzip betrifft das Herz: Es

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