Selbst ist der Mensch
Trigeminusnervenkern. Ebenso zweckgebunden sind auch die Gehirnregionen, denen die Handhabung der Signale obliegt, nachdem diese ins Zentralnervensystem gelangt sind und als Folgesignale an die höheren Gehirnebenen weitergeleitet werden.
Eines kann man zumindest sagen: Zusammen mit den im Blut vorhandenen chemischen Informationen setzen diese neuronalen Nachrichten das Gehirn über den Zustand eines großen Teils des Körperinneren in Kenntnis – über den Zustand der anatomischen und chemischen Körperbestandteile unterhalb der Hautoberfläche.
Als Ergänzung zur komplexen Kartierung der zuvor beschriebenen inneren Wahrnehmung, die wir als Interozeption bezeichnen, gibt es Kanäle vom Körper zum Gehirn, die den Zustand der an Bewegungen beteiligten Skelettmuskulatur kartieren und damit ein Teil der Exterozeption sind. Die Nachrichten aus den Skelettmuskeln bedienen sich anderer, schnell leitender Nervenfasern namens Aα und Aγ, und sie nehmen auf ihrem Weg zu den höheren Gehirnebenen eine Route über andere Zwischenstationen. Das Endergebnis all dieser Signalübertragungsprozesse ist ein vieldimensionales Abbild des Körpers im Gehirn und damit auch im Geist. 6
Quantität darstellen und Qualität herstellen
Bei der beschriebenen Signalübertragung vom Körper zum Gehirn geht es nicht nur um die Repräsentation der Quantität bestimmter Substanzen oder um das Ausmaß der Kontraktion glatter Muskeln. Zwar übertragen die Kanäle durchaus Informationen über Quantitäten vom Körper zum Gehirn (zum Beispiel die Menge des vorhandenen Sauerstoffs oder Kohlendioxids, den Blutzuckerspiegel und so weiter). Daneben haben die Ergebnisse der Übertragung aber auch einen qualitativen Aspekt . Man spürt, dass der Körper irgendeine Variante von Lust oder Schmerz, von Entspannung oder Anspannung empfindet: Energie oder Mattigkeit, körperliche Leichtigkeit oder Schwere, ungehindertes Fließen oder Widerstand, Begeisterung oder Entmutigung. Wie wird dieser qualitative Hintergrundeffekt hergestellt? Zunächst einmal dadurch, dass die vielfältigen quantitativen Signale bei ihrer Ankunft in den Strukturen des Hirnstamms und der Inselrinde so angeordnet werden, dass sie zusammen unterschiedliche Landschaften für die laufenden Körpervorgänge ergeben.
Um zu verstehen, worauf ich hinauswill, kann man sich einen Zustand der Lust (oder Angst) vorstellen und dann versuchen, ihn in seine Bestandteile zu zerlegen: Dazu stellt man ein kurzes Verzeichnis der verschiedenen Körperteile auf, die sich im Laufe des Prozesses verändern: Hormondrüsen, Herz, Kreislauf, Atmungsorgane, Verdauungstrakt, Haut, Muskeln. Und jetzt machen Sie sich bewusst, dass das Gefühl, das wir erleben, die zusammengefasste Wahrnehmung aller derartigen Veränderungen ist, die sich in der Landschaft des Körpers abspielen. Als Übung kann man versuchen, das Gefühl Stück für Stück zusammenzusetzen und den einzelnen Bestandteilen verschiedene Intensitätswerte zuzuordnen. Dabei erhält man für jedes Beispiel, das man sich vor Augen führt, eine andere Qualität.
Es gibt aber noch andere Wege, um Qualitäten herzustellen. Einer davon wurde bereits erwähnt: Zu einem beträchtlichen Teil durchlaufen die aus dem Körper kommenden Signale in bestimmten Kernen des Zentralnervensystems eine zusätzliche Bearbeitung. Mit anderen Worten: Die Signale werden in Zwischenstufen, die nicht nur reine Übermittlungsstationen sind, verarbeitet. Der Emotionsapparat, der in den Kernen des periaquäduktalen Graus lokalisiert ist, hat wahrscheinlich auf der Ebene des Nucleus parabrachialis direkten und indirekten Einfluss auf die Verarbeitung der Signale aus dem Körper. Was in dem Prozess im Einzelnen hinzukommt, ist unter neu-ronalen Gesichtspunkten nicht bekannt, es trägt aber wahrscheinlich zur Erlebnisqualität der Gefühle bei. Zweitens reagieren die Regionen, die Signale auf ihrem Weg vom Körper ins Gehirn empfangen, ihrerseits damit, dass sie den Zustand des Körpers fortlaufend verändern. Ich stelle mir vor, dass diese Reaktionen eine enge Resonanzschleife zwischen Körper- und Gehirnzuständen in Gang setzen. Das Gehirn, das den Körperzustand kartiert, und der Körperzustand selbst sind nie weit voneinander entfernt. Die Grenze zwischen ihnen verschwimmt. Sie gehen praktisch ineinander über. Deshalb haben wir das Gefühl, dass sich Ereignisse in unserem Fleisch abspielen. Eine Wunde, die im Hirnstamm (und zwar im Nucleus parabrachialis) kartiert und
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