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Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Titel: Selbst ist der Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Damasio
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kartiert. Im Normalfall sind beide von der Geburt bis zum Tod aneinandergekettet. Und was ebenso wichtig ist: Die kartierten Abbilder des Körpers beeinflussen auf gewisse Weise ständig gerade den Körper, in dem sie ihren Ursprung haben. Das ist eine einzigartige Situation. Es gibt dazu keine Parallele in den kartierten Bildern von Objekten und Vorgängen außerhalb des Körpers, der niemals unmittelbaren Einfluss auf diese Objekte und Vorgänge ausüben kann. Jede Theorie des Bewusstseins, die diese Tatsachen nicht berücksichtigt, ist nach meiner Überzeugung zum Scheitern verurteilt.
    Welche Gründe hinter den Verknüpfungen zwischen Körper und Geist stehen, wurde bereits dargelegt. Das Lebensmanagement besteht darin, dass ein Körper gesteuert wird, und das Management gewinnt durch das Gehirn – oder genauer gesagt: durch Neuronenschaltkreise, die beim Management helfen – an Präzision und Effizienz. Wie ich bereits erwähnt habe, sind das Leben und das Lebensmanagement anderer Körperzellen das, worauf die Neuronentätigkeit ausgerichtet ist, und diese Gerichtetheit erfordert eine Signalübertragung in beide Richtungen. Neuronen wirken über chemische Botenstoffe oder die Anregung von Muskeln auf andere Körperzellen, aber damit sie ihre Aufgabe erfüllen können, brauchen sie ihrerseits die Anregung aus dem Körper, den sie sozusagen in Gang setzen sollen. In einem einfachen Gehirn sorgt der Körper durch Signale an subkortikale Kerne für eine solche Anregung. Die Gehirnkerne sind angefüllt mit »Dispositions-Knowhow«, mit jener Form von Wissen, die keine detaillierte Repräsentation in Form von Karten braucht. In einem komplexen Gehirn dagegen beschreiben die kartenerzeugenden Hirnrinden den Körper und seine Tätigkeiten in so vielen expliziten Einzelheiten, dass der Besitzer des Gehirns beispielsweise in der Lage ist, sich »ein Bild« von der Form der Extremitäten und ihrer räumlichen Lage zu machen oder auch von der Tatsache, dass die Ellenbogen oder der Magen schmerzen. Den Körper in den Geist zu bringen, ist letztlich der Ausdruck der inneren Gerichtetheit des Gehirns, seine intentionale Einstellung zum Körper – um es mit Begriffen zu formulieren, die im Zusammenhang mit den Gedanken von Philosophen wie Franz Brentano stehen. 1 Brentano hielt die intentionale Einstellung sogar für das charakteristische Kennzeichen geistiger Phänomene und glaubte, dass körperlichen Phänomenen Intentionalität und Gerichtetheit fehlen. Dies stimmt jedoch offenbar nicht. Wie wir in Kapitel 2 erfahren haben, scheinen auch Einzeller in mehr oder weniger dem gleichen Sinn Intentionen und Gerichtetheit zu besitzen. Mit anderen Worten: Weder ein ganzes Gehirn noch Einzeller beabsichtigen mit ihrem Verhalten gezielt irgendetwas, aber ihre Grundhaltung ist so, als wäre dies der Fall. Dies ist ein Grund mehr, die intuitive Kluft zwischen mentaler und physischer Welt zu leugnen. 2 In diesem Punkt zumindest gibt es sie sicher nicht.
    Aus der Gerichtetheit des Gehirns gegenüber dem Körper ergeben sich zwei augenfällige Folgerungen, die ebenfalls unverzichtbar sind, wenn man sowohl das Körper-Geist- als auch das Bewusstseinsrätsel lösen will. Die umfassende Kartierung des Körpers erstreckt sich nicht nur auf das, was wir als den eigentlichen Körper betrachten – Muskel- und Skelettsystem, innere Organe, inneres Milieu –, sondern auch auf jene besonderen Wahrnehmungsinstrumente, die an ganz bestimmten Stellen des Körpers angebracht sind und quasi seine Spähposten darstellen: die Schleimhäute für Geruch und Geschmack, die Berührungssensoren der Haut, die Ohren und Augen. Diese Instrumente liegen ebenso wie Herz und Darm im Körper, nehmen aber eine bevorrechtigte Position ein. Man könnte sagen: Sie liegen wie Diamanten in einer Fassung. Alle diese Instrumente bestehen zum Teil aus »altem Fleisch« (der Fassung für die Diamanten) und zum Teil aus hochempfindlichen, ganz speziellen »neuronalen Sensoren« (den Diamanten). Wichtige Beispiele für die Fassung aus »altem Fleisch« sind beispielsweise das Außenohr, der Gehörgang, das Mittelohr mit seinen Gehörknöchelchen und das Trommelfell, ebenso die Haut und die Muskeln rund um die Augen sowie die verschiedenen Bestandteile des Augapfels mit Ausnahme der Netzhaut, beispielsweise Linse und Pupille. Zu den hochempfindlichen neuronalen Sensoren gehören die Schnecke im Innenohr mit ihren raffinierten Haarzellen und ihrer Fähigkeit, Geräusche zu

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