Selbst ist der Mensch
besteht ebenfalls aus quergestreiften Muskelfasern, aber seine Kontraktion dient nicht der Körperbewegung, sondern sie pumpt das Blut. Signale, die den Zustand des Herzens beschreiben, laufen im Gehirn zu Zentren, die den inneren Organen gewidmet sind, und nicht zu jenen, die mit Bewegungen zu tun haben.
Wenn Skelettmuskeln an zwei Knochen ansetzen, die durch ein Gelenk verbunden sind, hat die Verkürzung ihrer Fasern eine Bewegung zur Folge. Ob wir einen Gegenstand aufheben, gehen, sprechen, atmen oder essen – alle diese Tätigkeiten kommen durch Kontraktion und Dehnung von Skelettmuskeln zustande. Immer, wenn solche Kontraktionen stattfinden, verändert sich die äußere Form des Körpers. Abgesehen von Augenblicken der völligen Unbeweglichkeit, die im wachen Zustand selten sind, ändert sich die Stellung des Körpers im Raum ständig, und entsprechend wandelt sich auch die Karte des Körpers, die im Gehirn repräsentiert ist.
Damit das Gehirn die Bewegungen präzise steuern kann, muss es vom Körper in jedem Augenblick aktuell mit Informationen über den Kontraktionszustand der Skelettmuskulatur versorgt werden. Dies erfordert leistungsfähige Nervenbahnen, die entwicklungsgeschichtlich moderner sind als jene, die Signale von den inneren Organen und dem inneren Milieu übermitteln. Diese Nervenbahnen führen zu Gehirnregionen, die für die Wahrnehmung des Zustands dieser Muskeln zuständig sind.
Wie bereits erwähnt, übermittelt das Gehirn auch Nachrichten an den Körper. Viele Aspekte der Körperzustände, die im Gehirn ständig kartiert werden, sind überhaupt erst durch Signale des Gehirns an den Körper entstanden. Wie bei der Nachrichtenübermittlung vom Körper zum Gehirn, so laufen auch die Mitteilungen des Gehirns an den Körper sowohl über neuronale als auch über chemische Kanäle. Der neuronale Kanal bedient sich der Nerven, deren Signale zur Kontraktion von Muskeln und zur Ausführung von Tätigkeiten führen. Zu den chemischen Kanälen gehören Hormone wie Cortisol, Testosteron und Östrogen. Durch die Hormonausschüttung verändert sich das innere Milieu und damit auch die Tätigkeit der inneren Organe.
Körper und Gehirn befinden sich in einem ständigen interaktiven Tanz. Im Gehirn umgesetzte Gedanken können emotionale Zustände auslösen, die im Körper umgesetzt werden, und umgekehrt kann der Körper die Landschaft im Gehirn und damit den Nährboden für Gedanken verändern. Die Gehirnzustände, die bestimmten mentalen Zuständen entsprechen, verursachen bestimmte körperliche Zustände; die Körperzustände werden dann im Gehirn kartiert und in die ständig laufenden mentalen Zustände aufgenommen. Eine kleine Veränderung aufseiten des Gehirns kann große Auswirkungen auf den Zustand des Körpers haben – man denke nur an die Ausschüttung eines beliebigen Hormons. Umgekehrt kann sich eine kleine Veränderung aufseiten des Körpers – man denke beispielsweise an eine beschädigte Zahnkrone – auch stark auf den Geist auswirken, sobald die Veränderung kartiert ist und als akuter Schmerz wahrgenommen wird.
Vom Körper zum Gehirn
Die bemerkenswerte europäische Schule der Physiologie, die ihre Blütezeit von der Mitte des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts hatte, beschrieb die Grundzüge der Signalübertragung vom Körper zum Gehirn mit bewundernswerter Präzision; welch große Bedeutung dieses allgemeine Prinzip für das Verständnis des Leib-Seele-Problems hat, blieb jedoch unbemerkt. Wenig überraschend wurden die neuroanatomischen und neurophysiologischen Details erst in den letzten Jahren aufgeklärt. 5
Die Informationen über den Zustand des Körperinneren werden über dafür vorgesehene neuronale Kanäle an ganz bestimmte Gehirnregionen übermittelt. Besondere Nervenfasern (Aδ- und C-Fasern) leiten Signale aus jedem Winkel des Organismus zu ausgewählten Teilen des Zentralnervensystems (beispielsweise zum Lamina-I-Abschnitt im Rückenmarks-Hinterhorn), auf alle Ebenen entlang des vertikalen Rückenmarks und zur Pars caudalis des Trigeminusnervs. Die verschiedenen Teile des Rückenmarks übermitteln Signale aus dem inneren Milieu und von den inneren Organen des Körpers mit Ausnahme des Kopfes – das heißt aus Brustkorb, Bauch und Gliedmaßen. Signale aus dem inneren Milieu und dem Inneren des Kopfes einschließlich des Gesichts und seiner Haut, der Kopfhaut und der Dura mater, jener entscheidend wichtigen, Schmerzen erzeugenden Gehirnhaut, laufen über den
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