Selbst ist der Mensch
als Schmerz wahrgenommen wird, stößt in umgekehrter Richtung im Körper zahlreiche Reaktionen an. Diese werden vom Nucleus parabrachialis in Gang gesetzt und in den nahe gelegenen Kernen des periaquäduktalen Graus ausgeführt. Sie verursachen eine emotionale Reaktion und sorgen für eine veränderte Verarbeitung der weiteren Schmerzsignale, die sofort den Körperzustand verändern und ihrerseits dazu führen, dass das Gehirn als Nächstes eine veränderte Karte des Körpers erzeugt. Außerdem verändern die Reaktionen, die von den Regionen für die Körperempfindung ausgehen, wahrscheinlich auch die Tätigkeit anderer Wahrnehmungssysteme, womit sie nicht nur die laufende Körperwahrnehmung abwandeln, sondern auch die Wahrnehmung des Zusammenhangs, in dem sich die körpereigene Signalübertragung abspielt. Im Beispiel mit der Wunde ändert sich parallel zum körperlichen Zustand auch die ständig laufende kognitive Verarbeitung. Ganz gleich, mit welcher Tätigkeit wir gerade beschäftigt waren, wir werden auf keinen Fall weiterhin Freude daran haben, solange wir die von der Wunde verursachten Schmerzen erleben. Diese Veränderung der Kognition wird wahrscheinlich durch die Ausschüttung von Signalmolekülen aus dem Hirnstamm und den neuromodulatorischen Kernen des unteren Vorderhirns hervorgerufen. Insgesamt führen solche Vorgänge dazu, dass qualitativ verschiedene Karten aufgebaut werden, und tragen damit zum Schmerz- und Lusterleben bei.
Abb. 4.1 . Die an der Lebenssteuerung (Homöostase) beteiligten Kerne des Hirnstamms in schematischer Darstellung. Drei Ebenen des Hirnstamms (Mittelhirn, Pons und Medulla) sind von oben nach unten eingetragen; ebenfalls dargestellt ist der Hypothalamus, ein Funktionsbestandteil des Hirnstamms, der anatomisch aber zum Zwischenhirn gehört. Der Verlauf der Signale vom und zum übrigen Körper sowie von der Großhirnrinde und zu ihr ist durch senkrechte Pfeile dargestellt. Wiedergegeben sind nur die grundlegenden Verknüpfungen und die wichtigsten an der Homöostase beteiligten Gehirnkerne. Die klassischen retikulären Kerne sind ebenso wenig dargestellt wie die monoaminergen und cholinergen Kerne.
Der Hirnstamm gilt oftmals ausschließlich als Überträger für Signale vom Körper zum Gehirn und vom Gehirn zum Körper; die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Strukturen wie der NTS (Nucleus tractus solitarius) und der NPB (Nucleus parabrachialis) leiten zwar tatsächlich Signale vom Körper zum Gehirn weiter, sie tun dies aber nicht passiv. Diese Kerne, deren topographischer Aufbau einen Vorläufer der Struktur der Großhirnrinde darstellt, sprechen auf Signale aus dem Körper an und steuern auf diese Weise den Stoffwechsel; außerdem wachen sie über die Unversehrtheit der Körpergewebe. Darüber hinaus legen ihre reichhaltigen rekursiven Wechselbeziehungen (die durch Pfeile in zwei Richtungen angedeutet sind) die Vermutung nahe, dass im Verlauf der Lebenssteuerung auch neue Signalmuster geschaffen werden können. Das PAG (periaquäduktale Grau), das komplexe chemische und motorische, auf den Körper gerichtete Reaktionen hervorbringt (beispielsweise jene, die an der Reaktion auf Schmerzen und an Emotionen beteiligt sind), ist ebenfalls rekursiv mit dem NPB und dem NTS verknüpft. Das PAG ist ein entscheidendes Bindeglied in der Resonanzschleife zwischen Körper und Gehirn.
Vernünftigerweise kann man die Hypothese aufstellen, dass die durch diese Kerne gebildeten Netzwerke im Laufe der Lebenssteuerung auch zusammengesetzte neuronale Zustände entstehen lassen. Der geistige Aspekt dieser Zustände wird mit dem Wort Gefühle beschrieben.
Ursprüngliche Gefühle
Die Frage, wie aus den Wahrnehmungskarten unserer Körperzustände körperliche Gefühle werden – wie also die Wahrnehmungskarten empfunden und erlebt werden –, ist nicht nur von zentraler Bedeutung, wenn wir den bewussten Geist verstehen wollen, ihre Beantwortung ist sogar unverzichtbar für dieses Verständnis. Man kann die Subjektivität nicht vollständig erklären, ohne etwas über den Ursprung von Gefühlen zu wissen und anzuerkennen, dass es ursprüngliche Gefühle gibt, spontane Spiegelbilder des Zustands unseres lebenden Körpers. Meiner Meinung nach erwachsen ursprüngliche Gefühle aus nichts anderem als dem lebenden Körper, und sie gehen jeder Wechselbeziehung zwischen den Mechanismen der Lebenssteuerung und irgendeinem Objekt voraus. Ursprüngliche Gefühle gehen aus der Tätigkeit der
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