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Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Titel: Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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versuchte das 400 Mal und kam zu folgendem Schluss: Schafft man nicht. Geht nicht. Jeder, der behauptet, er hätte das mal geschafft, hat keine Zeugen – die sind alle kurz darauf gestorben, haben eine Ausbildungsstelle auf einem Kutter in Shanghai angenommen oder waren schon von Kindheit blind. Das ist wie auf der Kirmes diese Ringe über Flaschenhälse werfen. Hat auch noch nie einer geschafft. Deswegen haben diese Schausteller auch immer nur staubige Stofftiere von ALF als Gewinn. Uwe sagte: »Lass mich mal.«
    Er positionierte sich wie ein Profi.
    Â»Schau mir über die Schulter«, ordnete er weltmännisch an.
    Ich stellte mich hinter ihn, Uwe holte aus wie ein Profi und schlug mir in der ausholenden Bewegung den Minigolfschläger in die Fresse.
    Ich kippte um und hörte kurz vorm Aufschlag meines Leibes, wie Uwe »Ouh« sagte. Das war alles. »Ouh.«
    Ich wachte im Krankenwagen auf. Uwe war über mich gebeugt. Er lächelte, dann sagte er: »Ich hab den übrigens reingekriegt. Beim ersten Mal. Voll in den Beutel, Kollege.«
    Danach war auch Minigolf für mich gestorben.
    2010.
    Ich saß bei Uwe auf der Couch. Uwe ist mittlerweile Chef eines großen Elektronikhauses und muss das Geld mit der Schubkarre nach Hause fahren. Wir starrten angetrunken auf den Fernseher. Sportübertragung.
    Ich lief mit Scheuklappen durchs Leben, was Fußball anging. Frauen liefen mit Scheuklappen durchs Leben, was mich anging, aber das ist ein anderer Text.
    Â»Was ist das für ein verworrener Unsinn?«, fragte ich mit Blick auf den Fernseher.
    Â»Das ist die Weltmeisterschaft, Alter!«
    Â»Worin?«
    Â»Afrika«, sagte Uwe.
    Â»Komm«, entgegnete ich, »mach weg die Scheiße, gleich kommt ALARM FÜR COBRA 11.«
    Â»Das ist die WM!«
    Mir dämmerte was. Die ganzen Autos mit den kleinen Flaggen an den Türen.
    Ich hatte mich schon gefragt, warum auf einmal so viele Diplomatenfahrzeuge rumfuhren. Und warum Diplomaten neuerdings in Unterhemd rumfuhren, Brüllmusik von Sportfreunde Stiller hörten und dabei hupten. Was muss das für ein Land sein, dachte ich, das derartige Vollspaten zu Botschaftern machte. Jetzt wusste ich’s ja.
    Â»Ich versteh da nix von, Uwe. Will ich auch nicht.«
    Â»Ist simpel«, sagte Uwe. »Da, wo wir nicht sind, muss der Ball rein. Andersrum ist scheiße.«
    Â»Aha.«
    Â»Und beim nächsten Mal kucken wir das in FULL HD. Und 3-D. Das kostet ein paar Tausender, aber scheiß drauf, ich fahre mein Geld ja in Schubkarren nach Hause.«
    Er dachte kurz nach.
    Â»Ne, mach ich nicht, das mit der Schubkarre. Da müsste ich ein ganzes Stück über die A2, das ist mir zu riskant. Aber nächstes Mal: FULL HD 3-D, volles Programm.«
    Â»Wo sind die alten Zeiten hin?«, sinnierte ich. »Damals haben wir Filme auf Super 8 gekuckt. In Schwarz-Weiß. Nix FULL HD.«
    Â»Weiße was«, sagte Uwe, »damals war die Schmalfilmerei ja auch der letzte Stand der Technik. Heute ist das Käse.«
    Â»Ich fand’s toll damals!«
    Â»Okay«, erwiderte Uwe. »Pass auf. Wenn du artig mit mir das Spiel kuckst, kannste die ganze alte Schmalfilmscheiße mitnehmen. Schenk ich dir. Filme, Projektor, alles.«
    Und so riss ich mich einen Abend zusammen.
    Am nächsten Tag packte ich den Karton aus. Nostalgie flutete mein Wohnzimmer. Ich verdunkelte den Raum, baute den Projektor auf und begann, mir die alten Filme reinzuziehen. Uwe war schon ein Netter, dachte ich. Ich begann mit gekauften Streifen wie DER KLEINE MUCK und legte zwischendurch immer wieder Selbstgefilmtes von Uwes Vater ein. Selbstgedrehte Schmalfilme sind wie selbstgebrannter Schnaps. Dir selbst kommt’s okay vor, aber andere quälen sich damit ab.
    Ich sah FAHRT ZUR MOSEL 72, dann den Reißer GISELAS GEBURTSTAG AUF DEM PRICKINGSHOF, und dann fand ich eine Rolle, die mit HIGH NOON beschriftet war.
    Ich legte den Film ein. In flackerndem Schwarz-Weiß sah ich Uwe, vielleicht 8 oder 9, der sein Gesicht in die Kamera hielt. Er trug einen außerordentlich dumm aussehenden Cowboyhut.
    Ãœber seine Schulter sah man auf der anderen Straßenseite eine Tür aufgehen. Da stand ein kleiner Junge. Er trug einen Parka, die Kapuze dicht am Schädel verzurrt. Uwe beulte stumm die Wange mit der Zunge aus, nahm 10 Meter Anlauf und trat dann gegen den Fußball, der wie ein Geschoss über die

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