Selbstmord der Engel
Carlotta dieses Schauspiel oft genug gesehen. Trotzdem faszinierte es sie immer wieder. Es war auf seine Art stets neu und...
Sie wandte den Blick ab.
Etwas hatte sie irritiert.
Oben in der Luft und auch vor ihr, schon über dem Land bewegte sich ein großer Vogel, den sie hier nie erwartet hätte. Carlotta verlangsamte ihren Flug. Sie wusste auch, dass durch Vögel Gefahr drohte. Nicht durch die normalen Tiere, sondern durch übergroße Vögel, die nicht unbedingt von dieser Welt stammen mussten. Da hatte Carlotta schon ihre Erfahrungen gesammelt.
War das ein solcher Vogel?
Carlotta’s Neugierde war geweckt. Zudem verließ sie sich auf ihren Instinkt, der ihr im Augenblick keinerlei Gefahr signalisierte, und so war die Neugierde stärker als die Furcht.
Wer flog dort?
Um es genau beobachten zu können, suchte sie die Nähe der Felswand. Dort hatte sie Deckung gefunden und schaute noch soeben über die Kante hinweg in das Land hinein.
Darüber schwebte der große Vogel!
Carlotta nahm sich die Zeit, um ihn sich genauer anzuschauen, und sehr schnell musste sie sich eingestehen, dass dieses Wesen kein Vogel war, sondern ein-Mensch!
Sie konnte es kaum glauben. Es war nicht zu fassen. Unwahrscheinlich, aber da flog eine Person durch die Luft, die sie mit sich selbst vergleichen konnte.
Im ersten Moment war Carlotta fassungslos. Sie suchte nach einem Vergleich, denn sie wollte nicht akzeptieren, dass es sie zweimal auf der Welt gab.
Und doch musste es so sein. Ein Mensch mit Flügeln, einem hellen Körper und einem dunklen Unterteil, das aussah wie ein langer Rock und vom Wind ballonähnlich aufgeblasen wurde.
Das Vogelmädchen merkte, dass sein Herz schneller klopfte. Es wusste plötzlich, dass das Schicksal sie wieder mit einem Phänomen konfrontiert hatte, das nur die wenigsten Menschen so erlebten.
Ein fliegender Mensch!
Gab es die?
Auf eine bestimmte Art und Weise schon, das wusste Carlotta auch. Aber die Menschen hatten diesen Wesen einen Namen gegeben. Sie wurden als Engel bezeichnet. Menschen mit Flügeln, wenn sie sich materialisierten. Aber die Engel konnten auch etwas anderes sein. Geistwesen, die aus den Sphären des Himmels drangen, um den Erdenbewohnern einen Besuch abzustatten.
Das war so einer!
Der Engel hatte Carlotta noch nicht gesehen. Er verlor nur langsam an Höhe und kreiste über den Klippen wie jemand, der sich auf die Suche nach einer Beute machte.
Das war es nicht. Das konnte es nicht sein. Carlotta überlegte, was sie tun sollte. Gern würde sie mit dem Engel Kontakt aufnehmen. Sie ging davon aus, dass von ihm keine Gefahr drohte, aber sie wollte sich noch nicht sofort zeigen und erst mal abwarten. Dieses Wesen war ja nicht grundlos erschienen, denn es machte nicht den Eindruck, als wollte es wegfliegen.
Carlotta wusste, dass die Gestalt sich diesen Ort nicht grundlos ausgesucht hatte. Er war einsam, hier wurde sie nicht beobachtet, hier konnte sie tun und lassen, was sie wollte.
Aber was?
Noch schwebte sie über den Klippen, aber sie näherte sich immer weiter dem Rand, und es sah so aus, als wollte sie darüber hinwegschweben. Es traf nicht zu. Die Gestalt mit dem nackten Oberkörper verlor an Höhe. Sie sank dem Boden entgegen und faltete kurz vor der Landung ihre Flügel zusammen.
Zwei, drei Schritte lief sie noch über den steinigen Untergrund. Dann blieb sie stehen, das Gesicht dem Wasser und damit dem Rand der Klippen zugedreht.
Jetzt reagierte auch Carlotta. Sie flog ein paar Meter zur Seite, um richtig hinter den Rücken der anderen Gestalt zu gelangen. Mit einer knappen Bewegung der Schwingen schwang sie sich über den Klippenrand hinweg, schwebte noch zwei Körperlängen weiter und berührte dann ebenfalls das harte Gestein, zwischen dem zähes Gras wuchs und nicht kleinzukriegen war.
Der Engel hatte Carlotta noch nicht gesehen. Er schaute weiterhin über das Meer. Von seinen Armen war nur der obere Teil zu sehen. Der untere wurde durch den Rücken mit den beiden mächtigen Flügeln verdeckt, die graublau waren und hoch über den Kopf mit den blonden Haaren hinwegstanden.
Es konnte sogar sein, dass der Engel sich diese Stelle ausgesucht hatte, um zu beten. Alles hielt Carlotta für möglich. Bis auf eine Gefahr. Daran dachte sie nicht. Von dieser Person ging keine Gefahr aus. Sie war gekommen, gelandet, und sie war zudem in sich selbst versunken, wie jemand, der über die Welt nachdenkt.
Carlotta überlegte, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Sie
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