Selfmade: erfolg reich leben (German Edition)
Lebensschule
»Ewig wird das mit den hohen Aktienkursen nicht weitergehen«, sagte mir eine innere Stimme. Der DAX war stetig gestiegen, ein erfolgreicher Börsengang jagte den anderen.
Wir hatten den AWD-Börsengang eigentlich erst für 2001 geplant, aber im Winter 1999/2000 kam bei mir ein Gefühl auf, dass das Börsenumfeld nicht mehr lange gut bleiben würde und wir lieber schnell, also nach den Sommerferien, spätestens im Oktober, an den Start gehen sollten. Man kann aber nur an die Börse gehen, wenn man gute Zahlen hat, und so kämpften mein Team und ich rund um die Uhr für tolle Resultate. Obendrein braucht man für den Börsengang eine gute Expansionsstrategie – also überlegten wir zusätzlich, mit welchem Zukunftspotenzial, welcher Wachstumsperspektive und welchen Zukaufsynergien wir für Aktion ä re interessant werden könnten. Und obwohl das schon mehrere Fulltime-Jobs nebeneinander waren, musste ich gleichzeitig an vielen Meetings mit Wirtschaftsprüfern und Investmentbankern teilnehmen und beim Verfassen des ersten offiziellen, allen aktienrechtlichen Kriterien genügenden Geschäftsberichts mitwirken, den wir rechtzeitig vorlegen mussten.
Es kam so vieles gleichzeitig, dass es eigentlich nicht zu schaffen war. Aber ich hatte das Ziel, unseren Börsengang zu stemmen, und sagte mir deshalb immer wieder: »Du musst durchhalten. Da musst du durch!«
Ich schlief höchstens zwei Stunden pro Nacht, aber bis Mitte September waren wir gut unterwegs. Ein Investmentbanker, den ich fragte, was jetzt noch schiefgehen könnte, antwortete mir: »Keine Sorge, alles läuft bestens! Nur wenn jemand sich über Fehler in Ihrem Prospekt beschweren würde, wenn es politische Unruhen oder einen Börsencrash geben würde, könnte noch etwas schiefgehen.«
Am 3. Oktober stellte die Investmentbank den Investoren unser Projekt vor. Der Ausgabepreis der Aktien war gerade auf eine Spanne zwischen 54 bis 62 Euro festgelegt worden. Am selben Tag kam von einem Konkurrenten eine einstweilige Verfügung: Wir dürften uns nicht »größter unabhängiger Finanzdienstleister« nennen. Im Nachhinein gab uns das Gericht zwar recht, aber das half uns erst einmal gar nichts: Innerhalb weniger Stunden mussten wir die Prospekte umschreiben, sonst wäre der Börsengang abgesagt worden.
Dann gingen wir auf Roadshow, nach London, Mailand, Paris, Zürich und zwischendurch auch für einen Tag in die Beneluxländer. In Amsterdam merkten wir, wie die Banker andauernd tuschelten, aus dem Saal raus- und wieder hereinrannten. Wir fragten uns: »Haben wir etwas falsch gemacht?« Aber dann wurde klar: Im Nahen Osten gab es blutige Unruhen mit zahlreichen Verletzten und Todesopfern.
Die Börsenkurse krachten in den Keller. Die potenziellen Investoren, die wir bei unserer Roadshow trafen, sahen uns nett an, waren aber am Kauf von Aktien weniger interessiert als an der Frage, welche ihrer bisherigen Aktien von anderen Unternehmen sie als Erste wieder verkaufen sollten. Am nächsten Tag hörten wir, dass etliche andere Börsengänge abgesagt worden waren. Uns war klar, dass auch unser Projekt spätestens dann gestorben wäre, wenn auch noch die Aktienkurse vergleichbarer Unternehmen abrutschen würden. Wenn ein ganzer Sektor abstürzt, will natürlich niemand Aktien einer neuen Firma aus dieser Sparte kaufen.
Zwischendurch sagte ich zu einem Vertrauten: »Wenn das jetzt schiefgeht, bin ich im Eimer.« Wir hatten 50 Millionen Euro für den Börsengang aufgewendet, also einen ganzen Jahresgewinn. Die Firma wäre völlig demoliert, das Image wäre ruiniert gewesen.
Und dann passierte auch noch genau das, was auf gar keinen Fall geschehen durfte: Unser Konkurrent MLP war jahrelang hochgelobt worden; die Aktie kostete etwa 170 Euro pro Stück – und krachte innerhalb weniger Tage auf 130 Euro runter.
Angebliche Fehler im Prospekt, Kriegsgefahr, Börsencrash: Kurz nacheinander war alles eingetreten, was der Investmentbanker an möglichen k.-o.-Schlägen aufgezählt hatte.
Damit war für mich klar: Unser Börsengang ist geplatzt. Ich weiß noch, wie ich am Abend zu meiner Familie sagte: »Ich schmeiße hin.« Am nächsten Tag telefonierte ich mit einem Wirtschaftsanwalt, der mich seit vielen Jahren betreute, und sagte auch zu ihm: »Offenbar soll es nicht sein, dass wir an die Börse gehen. Ich gebe auf.«
Aber er sagte zu mir: »Jetzt sind Sie zu 99 Prozent durch. Das eine Prozent schaffen Sie auch noch. Denken sie doch an Ihren Sport: Die letzten
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