Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
wollte sie nicht.
»Wenn ich zu dir nach Hause gehe, dann habe ich eine Entscheidung getroffen«, erklärte sie unlogischerweise. Håkon Sand war sicher, daß die Entscheidung, überhaupt mit ihm ins Bett zu gehen, ein viel dramatischerer Entschluß war als die Wahl des Tatortes, aber damit konnte er sich bei ihr nicht durchsetzen.
Der Kellner stand, zwanzig Minuten nachdem er ihm einen Wink gegeben hatte, mit der Rechnung da. Sie wurde ihm, korrekt zusammengefaltet, altmodisch auf einem Teller präsentiert. Karen Borg griff danach, und er mochte nicht widersprechen. Es war eine Sache, daß sie fünfmal soviel verdiente wie er – immer wieder daran erinnert zu werden war etwas ganz anderes. Als die AmEx-Karte in Gold zurückgebracht worden war, erhob er sich und zog den Stuhl für sie zurück. Der bildschöne Kellner hatte ein Taxi bestellt, und sie schmiegte sich auf dem Rücksitz an Håkon.
»Du willst sicher direkt nach Hause«, sagte er, um seiner eigenen Enttäuschung zuvorzukommen.
»Ja, ich muß morgen arbeiten«, bestätigte sie. »Wir sehen uns bald. Ich ruf an.«
Sie stieg aus, beugte sich aber noch einmal ins Taxi und gab ihm einen leichten Kuß.
»Danke für den wunderschönen Abend«, sagte sie leise, lächelte kurz und verschwand ein zweites Mal aus dem Auto. Er seufzte und nannte dem Fahrer seine Adresse. Er wohnte an einem ganz anderen Ende der Stadt, hatte also Zeit genug, den leise stechenden Schmerz auszukosten, der sich nach den Abenden mit Karen Borg immer einstellte.
SONNTAG, 16. MAI
»Das ist wirklich komisch!«
Håkon Sand und Hanne Wilhelmsen waren sich absolut einig. Es war höchst seltsam.
Es nieselte. Endlich und ganz besonders willkommen nach der unnormalen Tropenhitze der letzten Wochen. Das Parkhaus war eins von der offenen Sorte, bei der die Etagen einander in Abständen von einigen Metern mit Pfosten abstützen. Deshalb schob sich keine Wand zwischen das Wetter und das eine oder andere vergessene Auto in diesem tristen Gemäuer. Und dennoch schien nichts von dem Blut weggespült worden zu sein.
»Ist das alles? Keine Waffen oder irgendwelche Gegenstände? Keine vermißte junge Frau?«
Der Adjutant hatte diese Fragen gestellt. Er trug einen Trainingsanzug und eine Helly-Hanssen-Jacke und gähnte trotz der von Gewaltanwendung geprägten Umgebung. Eine Ecke im ersten Stock des Parkhauses war von Blut übersprüht. Er wußte zwar aus bitterer Erfahrung, daß Blut die unangenehme Eigenschaft hatte, immer überwältigend auszusehen, aber hier mußten wirklich etliche Liter im Spiel sein.
»Gut, daß du angerufen hast«, sagte er, unterdrückte ein weiteres Gähnen und warf einen diskreten Blick auf seine Swatch. Es war halb sechs am Sonntag morgen. Ein Wagen voller feiernder Abiturienten raste mit ohrenbetäubendem Hupkonzert vorüber. Dann zog wieder die Stille ein, die herrscht, wenn alle nächtlichen Zecher nach Hause gegangen und in der sicheren Annahme ins Bett gefallen sind, bis auf weiteres nicht aufstehen zu müssen.
»Ja, das mußtest du doch sehen. Zum Glück hatte eine aus meinem Jahrgang Bereitschaftsdienst und wußte noch, daß ich auch beim ersten Mal …«
Hanne Wilhelmsen wußte nicht so recht, wie sie diese absurden Fälle nennen sollte.
»Daß ich auch beim ersten Samstagsmassaker am Tatort war«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Ich bin vor einer halben Stunde gekommen.«
Zwei Mann von der Spurensicherung nahmen schon Proben und fotografierten. Sie arbeiteten schnell, präzise und wortlos. Hanne und Håkon schwiegen ebenfalls lange. In der Feme hatten die Abiturienten Bekannte getroffen und lärmten von neuem los.
»Das muß doch irgendwas zu bedeuten haben! Schaut mal!«
Håkon Sand versuchte, einer geraden Linie zwischen ihrem Zeigefinger und der Wand zu folgen. Das Licht war nicht günstig, aber als er erst auf sie aufmerksam gemacht worden war, konnte er die Zahlen recht deutlich erkennen.
»Neun-eins-sechs-vier-sieben-acht-drei-fünf«, las er vor. »Sagt dir das was?«
»Rein gar nichts. Nur, daß es genauso viele Ziffern sind wie beim letztenmal und daß die ersten beiden übereinstimmen.«
»Eine Telefonnummer kann das nicht sein?«
»Die Vorwahl gibt es nicht. Auf die Idee bin ich auch schon gekommen.«
»Personenkennummer ?«
Resigniert verkniff sie sich die Antwort.
»Nein, natürlich nicht«, sagte er selbst rasch. »Es gibt schließlich keinen neunzehnten Monat …«
»Und entweder sind es zwei Ziffern zuviel oder drei
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